St. Martin von Tours – Geschichten zum Martinsfest
Besinnliche Geschichten zu St. Martin, kindgerecht erzählt.
Übersicht
Der halbe Mantel
Autorin: Elke Bräunling
Lena, Timo und Jens spielen Sankt Martin. Lena ist
der Martin, Timo spielt den Bettler und Jens das Pferd.
Das Spiel beginnt, und der heilige Martin reitet
herbei.
„Hü, hü“, ruft Martin, und Jens, das
Pferd, keucht und schnauft und trägt den Lena-Martin
kreuz und quer durchs Zimmer.
„Hü, hü! Halt! Brrrrr!“ Martin und Pferd
halten vor einer zusammen gekrümmten Gestalt in der
Ecke. „Wer bist du?“, fragt Martin
barsch.
Der Fremde hebt scheu den Kopf. „Ich bin ein
armer Bettler“, antwortet er.
„Ein Bettler?“, fragt Martin, und seine
Stimme klingt freundlicher. „Dann frierst du und
brauchst meinen halben Mantel.“"
„Deinen halben Mantel?“, wundert sich
der Bettler.
Martin nickt, steigt vom Pferd, zieht seinen Mantel
aus und greift zur Schere.
„A-aber ich friere nicht“, ruft der
Bettler schnell.
„Du musst aber frieren!“, schmollt
Martin. „Das gehört dazu.“
„Nein. Ich habe nur Hunger.“ Der Bettler
greift zur Schokolade auf dem Regal. „Die kannst
du mit mir teilen, heiliger Martin!“
„Die Schokolade teilen?“, fragt Sankt
Martin mürrisch. „Dazu hab ich keine
Lust.“
„Dann bist du auch kein rechter Martin“,
schimpft der hungrige Bettler.
Der heilige Martin denkt nach. „Gut“,
sagt er und seufzt. „Du bekommst die Hälfte -
obwohl mir das mit dem halben Mantel lieber wäre
…"
„Ich will auch Schokolade“, ruft das
Pferd.
Martin seufzt noch einmal, dann teilt er die
Schokolade in drei gleiche Häufchen.
© Elke Bräunling, Elkes
Kindergeschichten
Der heilige Martin
Alle hundert Jahre tritt im Himmel unter dem Vorsitz
von Petrus eine Vereinigung von himmlischen Beratern
zusammen. Sie haben die Aufgabe, zu überprüfen, ob die
Heiliggesprochenen nach den heutigen Ansichten und
Richtlinien weiterhin zu Recht den himmlischen Titel
tragen dürfen.
Diesmal wurde der heilige Martin vor die
Prüfungskommission geladen. Petrus sah seine Unterlagen
durch, schüttelte missbilligend sein Haupt und sagte:
„Mein lieber Martin. Du bist seinerzeit unter
anderem deshalb heilig gesprochen worden, weil du einem
armen Bettler deinen halben Mantel geschenkt hast.
Warum hast du das getan?“
Martin entgegnete: „Weil der arme Kerl
furchtbar frieren musste!“ –
„Lächerlich“, sagte Petrus, „warum
hast du ihm nicht den ganzen Mantel geschenkt?“
– Der heilige Mann überlegte kurz und sagte:
„Weil ich dann selbst erfroren wäre!“
Petrus war erstaunt. „Wieso, du warst doch hoch
zu Ross und konntest schnell in die Wärme
reiten.“ - „Eben nicht“, sagte
Martin. „Im vierten Jahrhundert hatten wir noch
keine Heizung, und ich war unterwegs, um ein Kloster zu
gründen. Wir hatten unter unserer eiskalten Rüstung nur
sehr ungenügende Unterwäsche. Ich wäre nach dem langen
Ritt vollkommen vereist vom Pferde gefallen. Viele
fromme Klöster und Kirchen hätte ich nicht mehr erbauen
können.“
Petrus war beeindruckt. „Hmmmmh“, meinte
er, „und was würdest du heute machen, wenn dir
ein Bettler im kalten Winter begegnet? Würdest du ihm
deinen ganzen Mantel schenken?” Martin
entgegnete: „Nicht nur das! Heute würde ich wohl
nicht mehr zu Pferd, sondern in einem beheizten Auto
sitzen. Ich würde den armen Burschen zu mir einladen.
Dann würde ich statt eines Klosters eine Wohnanlage für
Obdachlose bauen und ihn dort unterbringen. Und dann
würde ich eine Einrichtung zur Berufsfortbildung ins
Leben …“
Petrus winkte ab. „Danke, danke, das
genügt!“ Er schlug seine Akte zu, und Martin
durfte den Titel als Heiliger behalten.
Der Laternenstreit
Autorin: Elke Bräunling
Heute ist Laternenzug, und Max und Tom streiten. Das
ist nichts Neues, denn die beiden streiten fast immer.
Klar, heute geht es um die Laternen.
„Hä!“, spottet Tom. „Du hast aber
eine olle Laterne! Gehört die deiner Oma?“
Max ärgert sich. Es stimmt, seine Laterne ist nicht
die neueste. Seine Eltern müssen sparen, und so hat Max
eben die alte Mondlaterne vom Dachboden geholt. Na und?
Seine Laterne leuchtet genauso hell wie die anderen.
„Angeber!“, schimpft er. „Deine
komische Saurierkopflaterne sieht doch richtig blöd
aus!“
„Aber sie ist neu“, triumphiert Tom.
„Na und?“, knurrt Max. „Sie ist
trotzdem blöd.“
„Deine ist viel blöder. Wer schleppt noch ein
Mondgesicht mit sich herum?“, feixt Tom.
„Blödmann!“, schreit Max.
„Affe“, keift Tom. „Du
…!“
Laut und lauter brüllen die beiden aufeinander ein,
bis ihnen keine Schimpfworte mehr einfallen. Da kickt
Tom die Mondlaterne auf die Straße, direkt vor ein
Auto. Bremsen kreischen auf, doch zu spät: Mit einem
lauten ´Rrrtschsch´ zerplatzt die Laterne in viele
kleine Fetzen.
„Meine Laterne!“ Max heult auf.
„Jetzt hab ich keine Laterne mehr. Du bist
gemein.“ Er greift nach Toms Saurierkopflaterne,
doch Tom ist schneller und saust davon.
Traurig sammelt Max die Reste seiner Laterne ein.
Eigentlich will er Tom hinterherlaufen und ihn
verhauen, doch irgendwie ist ihm die Lust am Streiten
vergangen. Heute ist doch Martinstag!
Zu dumm, denkt er und starrt auf die Fetzen seiner
Laterne, dass ich nicht früher daran gedacht habe. Dann
macht er sich auf den Heimweg.
Plötzlich taucht ein Schatten neben ihm auf. Der
Schatten sieht aus wie ein Saurierkopf.
„W-w-wir könnten uns doch die Laterne
teilen“, hört Max Tom sagen.
„Teilen?“, fragt Max unsicher.
„Warum?“
„W-w-weil du doch nun keine Laterne mehr
hast“, stammelt Tom. „Der Martin hat damals
seinen Mantel auch geteilt.“
Das stimmt. Max zögert.
„Ei-einverstanden“, sagt er, und muss auf
einmal auch stottern.
„Super!“,ruft Tom. “Jetzt müssen
wir uns aber beeilen! Sonst beginnt der Laternenzug
ohne uns.“ Und schnell laufen die beiden mit
ihrer Saurierkopflaterne zum Marktplatz.
© Elke Bräunling, Elkes
Kindergeschichten
Der rote Mantel
Autor:
Christian Braemer
Es war einmal ein alter, reicher Mann, der hatte sein Leben lang
nichts anderes getan als Reichtum zu sammeln. So war er geizig
bis zur Halskrause. Nie verließ er sein Haus und am Abend ging
er in seine Kammer und zählte sein Geld.
Die Menschen in der Stadt aber arbeiteten alle für seinen Reichtum
und waren doch selbst so arm, dass man das Knurren ihrer Mägen
schon von weitem hören konnte. Weil der Alte nicht nur geizig war,
sondern auch griesgrämig, und er keine bunten Farben leiden konnte,
mussten alle Menschen in der Stadt schwarze Kleidung tragen. Die
armen Leinweber, die die Kleidung weben mussten, blieben aber
draußen vor der Stadt, denn die ganz Armen mochte der Reiche nicht
in der Stadt dulden.
Gleichwohl war ihm, da er nie ausging, entgangen, dass in seiner
Nachbarschaft, in den Schatten seines großen Hauses geduckt, die
Hütte eines alten Kesselflickers stand, der lange Zeit umhergezogen
war und nun im Alter mit Frau und sieben Kindern hier sein Hüttchen
hingestellt hatte. Aus Angst vor dem Zorn des reichen Alten hatten
ihm seine Diener von dieser Hütte noch nichts erzählt.
Eines Tages nun fehlte dem Alten beim Zählen seines Geldes ein Cent,
und er trat in Gedanken, wohin dieser Cent wohl gekommen war, an das
Fenster. Da sah er mit einem Male die kleine verhutzelte armselige Hütte
des Kesselflickers. Zornig ergriff er seine große Glocke und klingelte,
wie anderswo zu Weihnachten geläutet wird, nach seinen Dienern. Als diese
zitternd vor ihm standen, befahl er ihnen, binnen drei Tagen die Leute aus
ihrer Hütte zu verjagen und ihr Häuschen an allen vier Enden anzuzünden.
Nun hatte der Alte auch einmal eine Frau und Kinder gehabt, aber
die waren ihm davongelaufen, sobald den Kleinsten die eigenen Beine
tragen konnten. Ob seine Frau Essen kochte, Kleidung zum hundertsten
Mal flickte oder die Wäsche wusch, immer hatte der Alte etwas an ihr
herumzumäkeln und hatte – als er jung war – der Spott seine
Zunge getragen, so schimpfte er nun über alles so lange, bis seine Frau
die Kinder nahm und mit ihnen auf nimmer Wiedersehen verschwand.
Längst waren nun seine Kinder groß geworden und hatten selbst Kinder
bekommen, ohne dass der Alte wusste, was aus ihnen geworden war.
Nun wollten die Kinder ihren Vater doch einmal besuchen und ihm seine
Enkelkinder zeigen, mochten sie vielleicht in ihrer Unschuld das
Herz des Alten erweichen. Als ihr Vater sich nun – es war um die
Martinszeit – gerade in seiner Kammer befand, klopfte es an das
Tor.
Die Diener trauten sich nicht, den Alten beim Geldzählen zu stören,
denn das hatte er ihnen bei Strafe verboten und so ließen sie alle
herein und deckten den Tisch für sie. Als der Alte herunter kam,
erschrak er. Aber er musste eine gute Miene machen. Bei aller Unruhe,
die sein schweigsames, aus Angst und Geiz gebautes Haus nun erfüllte,
blieb er nicht ohne Stolz über so eine reiche Nachkommenschaft,
wenn sie nur nicht gekommen waren, um zu betteln.
Als nun die Kinderschar ihren Großvater, den sie noch nie gesehen
hatten, umringten, da war es, als rollten gewaltige Wackersteine
durch die Brust des Alten. Dann setzte sich das mutigste seiner
Enkelkinder auf seinen Schoß und sagte: „Großvater, erzähl uns
eine Geschichte“. Eine Geschichte sollte er erzählen!
Längst hatte der Reichtum und der Geiz die Lippen verkleistert und
in seinem Herzen hörte er nichts als das Geklimper der Münzen. Zum
erstenmal geriet der Alte in Not. Mühsam versprach er den Kleinen
für den anderen Tag eine Geschichte und schützte Müdigkeit vor.
Am anderen Tag wusste er wieder keine Geschichte, und wieder
vertröstete er die Kinder auf den anderen Tag. Eine unerklärliche
Angst hatte den Alten erfasst. Da fiel ihm am Abend ein, dass sein
Vater ihm einst von einem Kästchen unter dem Baum im Garten erzählt
hatte. Das hatte sein Vater dort vergraben und ihm eingeschärft,
er dürfe dieses Kästchen ausgraben, wenn er einmal in großer Not
wäre.
Als nun alle im Bett lagen, schliefen und es draußen schon
stockdunkel war, ließ sich der Alte von einem Diener einen Spaten
bringen und eilte in den Garten, um nach dem Kästchen zu graben.
Bald stieß er mit dem Spaten auf etwas Hartes, und rasch befreite
er das Kästchen aus dem Wurzelwerk. Nachdem er es gesäubert hatte
von der Erde, schlich er sich damit in seine Kammer und schloss
sorgfältig die Tür ab.
Dann öffnet er vorsichtig das Kästchen, ohne zu wissen, was ihn
erwartete. Mit spitzen Finger zog er aus dem Kästchen ein
zerschlissenes Tuch heraus, das Löcher hatte, an den Rändern
ausgefranst war und nur an winzigen Stellen noch seine ehemals
rote Farbe verriet. Als er es ganz herausgezogen hatte, warf
er noch einen Blick in das Kästchen, aber es war nichts mehr
darinnen.
Enttäuscht wollte er den alten Lumpen schon in die Ecke werfen,
da sah er, dass es einmal ein Mantel gewesen sein musste, dass
er aber irgendwann einmal in der Mitte zerschnitten wurde und
nun nur dieser halbe Fetzen übrig geblieben war. „Was
soll mir das? Warum hat mir mein Vater diesen Lumpen
hinterlassen?!“, rief der Alte unmutig und wollte ihn
endgültig in die Ecke werfen, da begann dieser halbe Mantel
zu reden.
„Hör zu, Alter, ich will dir meine Geschichte erzählen
und warum ich nun als Lumpen vor dir liege. Siehe, einstmals
war ich ein schöner, großer, weiter, roter Mantel und ich
gehörte einem Soldaten, den ich bei Tag und Nacht wärmte.
Wenn die anderen seinen roten Mantel sahen, dann wussten sie,
dass sie sich vor ihm verneigen mussten.
Eines Tages nun ritten wir durch die nächtlichen Straßen einer
Stadt. Der Wind wehte heftig und bauschte mich prächtig auf,
es war kalt und meinem Herrn dauerten die Bettler am Straßenrand.
Da ritten wir aus der Stadt heraus. Wir waren eben über eine
Brücke geritten, da tauchte ein Bettler aus der Dunkelheit auf
und bat meinen Herrn um Hilfe. Martin, so hieß mein Herr, tastete
nach seinem Geldbeutel, aber er hatte alles bereits an die Bettler
vergeben. Da löste er mich von seinen Schultern, zog sein Schwert
und schlug mich mitten entzwei. Meine eine Hälfte warf er dem
Bettler zu, in die andere hüllte er sich selbst und schon ritt
er rasch davon, kaum dass er noch den Dank des Bettlers hörte.
0h, wie gewaltig schmerzte mich der Schnitt. Sollte ich nun zwei
Herren dienen? Der Bettler hüllte sich in mich, aber wie erstaunte
ich, als es um mich, in mir ganz hell wurde und ich, ehe ich mich
versah, zu einem ganzen großen Himmelsmantel geworden war, denn
der Bettler war niemand anderes als Christus, und er nahm mich,
um die Bedürftigen in seine Liebe zu hüllen. Mit meiner anderen
Hälfte aber diente St. Martin sein Leben lang – auch, als er
schon längst Bischof war – den Bedürftigen.“
Hier schwieg der Mantel. Der Alte aber fragte: „Und warum
siehst du nun selbst so bedürftig aus …?“ Obwohl er die
Antwort schon ahnte und Angst davor hatte, wollte er doch Gewissheit
und es selbst vom Mantel hören.
„Weil du“, antwortete der Mantel, „dein Leben
lang ein furchtbarer Geizhals gewesen bist. Nicht nur deine Frau
und deine Kinder hast du mit deiner Hartherzigkeit aus dem Haus
vertrieben. Die ganze Stadt leidet unter deinem Geiz. Und nun
vertreibst du auch noch den alten Kesselflicker mit seiner großen
Familie, lässt gar sein Haus anzünden, weil du seine Armut nicht
ertragen kannst. Du willst nicht, dass die arme Hütte neben deinem
reichen Haus einen Schatten auf dein Haus wirft. In dieser Zeit ist
aus mir ein Lumpen geworden, und wenn du so fortfährst, werde ich bald
zu Staub zerfallen.“
Da war dem Alten, als wenn ein schwerer Ring um sein Herz barst und
das Dröhnen erschütterte das Haus, so dass alle erschrocken aus ihren
Betten fuhren und dachten es sei ein Erdbeben.
Der Alte aber weinte, weinte zum ersten Mal in seinem Leben. Als
die ersten Tränen auf den Mantel fielen, sah der Alte mit Erstaunen
durch den Schleicher seiner Tränen, wie sich dort in dem Mantel der
Stoff zusammenzog, fest wurde und wieder rot färbte. Aber immer noch
hatte der Mantel große Löcher und überall konnte man durch ihn
hindurchsehen.
Als der alte Mann aus der Stube hinaus und an sein Fenster trat, sah
er, wie seine Diener gerade die Kesselflicker davonjagten und wie die
Hütte schon an vier Ecken brannte. Da lief der Alte so schnell ihn
seine Füße tragen konnten hinunter auf die Straße, gebot seinen Dienern
Einhalt und ließ die Kesselflickerfamilie zurückholen.
Er lud sie in sein Haus ein, fiel vor ihnen auf die Knie, bat sie um
Verzeihung, hieß sie als seine Gäste willkommen und versprach ihnen,
für sie ein neues Haus bauen zu lassen.
Am nächsten Tag aber erzählte er seinen Kindern und Enkeln die
wundersame Geschichte des Heiligen Sankt Martin und vom Mantel.
Von Stund’ an wandelte sich sein Sinn, und bald war er über die
Stadt hinaus als weiser und gerechter Mensch bekannt. Die Menschen
trugen bunte Kleidung und man hörte endlich wieder das Spielen und
Lachen der Kinder auf den Straßen der Stadt.
Als er nach drei Jahren friedlich starb, vermachte er all seine
Reichtümer, die er noch nicht weggegeben hatte, den Armen und Kranken
der Stadt. Der Mantel aber war leuchtend rot und ganz geworden. Seinen
Enkeln hatte der alte Mann noch auf dem Sterbebett die letzten Geschichten
vom Heiligen Martin erzählt.
Die allerschönste Laterne auf der Welt
Autorin: Elke Bräunling
Jule ist sauer auf Papa. Der nämlich wollte mit ihr
´die allerschönste Laterne auf der Welt´ basteln. Ganz
fest hat er es versprochen, doch jetzt sitzt er am
Computer und hat wie wieder einmal keine Zeit.
Jule stellt sich neben Papa. „Wir wollten eine
Laterne basteln“, erinnert sie ihn.
„Basteln?“, fragt Papa und hackt in die
Computertasten. „Hm. Gleich! Ich muss dies noch
rasch fertig schreiben. Dann hab ich ein paar Minuten
Zeit für dich, okay?“
„Nein, das ist nicht okay! Was soll sie denn
mit ´ein paar Minuten Zeit´ anfangen?“ Unwillig
schüttelt Jule den Kopf und brummt: „Das ist wie
mit dem halben Mantel!“
„Wie bitte?“ Papa blickt auf. „Du
hast doch erst einen neuen Mantel bekommen!? Und Jeans
und einen ganzen Berg neuer Pullis und Sweat-Shirts und
…“
„Ich brauche keinen Kleiderberg“, sagt
Jule. „Ich …“
„Na, dann ist es ja gut.“ Schon will
sich Papa wieder dem Computer zuwenden, doch dieses Mal
ist er bei Jule an der falschen Adresse.
„Bald ist Laternenzug“, schimpft sie
los, und wie immer, wenn sie wütend ist, purzeln ihr
die Worte einfach so aus dem Mund: „Du hast mir
DIE ALLERSCHÖNSTE LATERNE AUF DER WELT versprochen. In
´ein paar Minuten Zeit´ aber kann man bloß eine halbe
Laterne basteln. Was aber soll ich mit einer halben
Laterne? Das ist wie mit dem Martin. Der hat dem
Bettler auch nur einen halben Mantel gegeben. Aber ein
halber Mantel ist immer noch besser als ´nur ein paar
Minuten Zeit´, denn da kann man sich drin einwickeln
und friert nicht mehr …!“
„Hä?“ Verdutzt sieht Papa Jule beim
Schimpfen zu. „Was hast du nur immer mit deinem
halben Mantel?“, fragt er. „Und wieso ist
dir kalt? Ich kapiere überhaupt nichts mehr.“
„Weil du nie Zeit hast. Darum!“, trotzt
Jule.
Da muss Papa lachen. Er nimmt die schimpfende Jule
auf den Schoß und drückt sie an sich.
„Nun schieße mal los!“, sagt er.
„Warum bin ich so ein grässlicher Vater, der sein
Kind mit einem halben Mantel herumlaufen
lässt?“
Da muss Jule auch lachen. Papa stellt sich manchmal
wirklich sehr dämlich an! Und nachdem sie sich die Wut
aus dem Bauch gelacht hat, erzählt sie Papa die
Geschichte von Martin, dem Bettler und dem halben
Mantel. Auch von der ´allerschönsten Laterne auf der
Welt´ spricht sie und dass ´ein paar Minuten Zeit´ noch
viel, viel weniger sind als ein halber Mantel, ja, und
dass es überhaupt und gar nicht schön ist, immer um
Papas Zeit betteln zu müssen.
Da begreift Papa endlich. „Ich bin ein
Trottel, stimmt´s?“ Er schaltet den Computer aus,
setzt sich an den großen Tisch im Kinderzimmer und hat
endlich Zeit für Jule.
Na ja, die braucht man auch, um die allerschönste
Laterne auf der Welt zu basteln.
© Elke Bräunling, Elkes
Kindergeschichten
Die
Geschichte von der Laterne LUMINA
Es war eine Laterne. Ihr Name ist LUMINA. Lumina
geht sehr gerne in der Nacht spazieren, denn da sieht
sie, da sie ein schönes, helles Licht hat. Und sie ist
glücklich darüber.
Einmal wandert Lumina wieder durch einen dunklen
Wald. Ihr Licht leuchtet hell und der Schein der
Laterne fällt auf den dunklen Weg. So kann sie gut
sehen. Erst ist es ganz still im Wald. Aber dann werden
die Äste der hohen Bäume unruhig. Ein Wind bläst durch
den Wald und bewegt die Äste hin und her. Der Wind wird
zum Sturm. Da flackert Luminas Licht immer mehr. Sie
kann den Weg fast nicht mehr sehen, weil das Licht in
ihrer Laterne klein und schwach ist. Lumina fürchtet
sich: „Wenn nur mein Licht nicht ausgeblasen
wird!“, denkt sie und geht ganz vorsichtig. Da
plötzlich ein Windstoß – das Licht geht aus.
Lumina steht einsam im dunklen Wald. Wie soll sie
nun ihren Weg nach Hause finden? Müde und traurig
stolpert sie zwischen den hohen Bäumen dahin. Da hört
es endlich auf zu stürmen. Woher aber soll Lumina nun
Licht bekommen?
Doch was ist das? Weit weg ist ein Licht. Und das
Licht kommt immer näher. „Eine Laterne!“
denkt Lumina. „Wie schön sie leuchtet! Sie kann
mir helfen und mir von ihrem Licht geben, damit ich
wieder nach Hause finde.“ Da läuft Lumina auf sie
zu und sagt: „Bitte, gib mir von deinem Licht,
der Wind hat mein Licht ausgeblasen.“
„Nein“, sagt die andere Laterne ganz
entsetzt. „Wenn ich dir von meinem Licht gebe,
habe ich selber zu wenig und sehe nicht mehr meinen
Weg.“ – Da wendet sich die andere Laterne
von Lumina ab. Doch Lumina bittet ganz fest die andere
Laterne: „Bitte, teil doch dein Licht mit
mir!“ Da hat die andere Laterne Mitleid und teilt
mit Lumina das Licht.
Nun staunten beide, denn beide Lichter werden groß
und hell, und es ist so, als hätten beide nie so hell
gestrahlt! „Ich danke dir!“ ,sagt Lumina
und wandert glücklich nach Hause.
Die Katze Mia und der Martinsumzug!
Autorin: Ingrid Neufeld
Mia hieß die kleine Katze. Sie hatte ein Fell, ganz
weich wie Samt und rabenschwarz. So schwarz, dass man sie
nicht mehr sah, wenn es finster wurde. Nur die Augen
leuchteten dann wie glühende Kohlen und huschten durch
die Dunkelheit wie kleine gespenstische Lichter.
Da geschah es, dass das kleine Kätzchen an einem schaurig
kalten Novembertag nachts durch die Straßen strich. Sie wusste
nichts von Monaten und Jahreszeiten, deshalb jagte sie ihre
Mäuse wie an jedem anderen Tag. Das Kätzchen ahnte auch nichts
davon, dass an diesem Tag St. Martin gefeiert wurde.
Sie war auf der Jagd nach einer Maus. Durch mehrere Straßen
rannte sie ihr jetzt schon hinterher – doch ohne Erfolg!
Die Maus flitzte mit der Geschwindigkeit einer Rakete über die
Hauptstraße.
Doch die Hauptstraße war an diesem Tag nicht leer und verlassen
wie sonst um diese Uhrzeit. Viele kleine Menschen in Begleitung
großer Erwachsener zogen über den Marktplatz. Sie rannten und
tobten nicht, wie Mia das von diesen kleinen Menschen sonst
gewohnt war, sondern sie sangen laut und gleichmäßig Lieder von
Sonne, Mond und Sterne und einem St. Martin.
Der kleine Jakob ging neben seiner Kindergartenfreundin Anna
und trug stolz eine wunderschöne Mond-Laterne vor sich her. Er
freute sich über ihr Leuchten. „Die leuchtet heller als der
richtige Mond!“, prahlte er. Anna antwortete nicht, sie achtete
darauf, ihre Laterne nicht zu verlieren, deshalb hörte sie nicht,
was ihr Freund erzählte.
Jakob merkte, dass Anna nicht zuhörte. Deshalb versuchte er,
sie zu ärgern: „Meine Laterne ist viel schöner als deine!“ Noch
immer reagierte Anna nicht. „Deine Laterne ist viel kleiner. Sie
ist für kleine Mädchen!“, versuchte er sich wichtig zu machen.
Jetzt hatte er Annas Aufmerksamkeit. „Ist sie nicht!“, widersprach
sie. „Doch!“, trumpfte Jakob auf.
In diesem Moment hatte Mia den Festzug erreicht. Sie achtete
nicht auf die vielen Kinder. Mia wollte nur ihre Maus fangen.
Die Maus rannte im Zickzack über den Markplatz und hatte gerade
einen Spalt erspäht, in den sie sich retten wollte. Da sprang Mia
mitten durch die Kinder, direkt vor Annas Füße. Anna stolperte und
purzelte der Länge nach über Mia. Die Laterne fiel ihr aus der
Hand, hüpfte übers Kopfsteinpflaster und das Licht erlosch.
Vor Schreck erstarrte Mia in ihren Bewegungen. Die Katze kannte
Anna, denn sie gehörte ihrer Familie. Sogar die Maus vergaß sie da,
die längst in ihrem Loch verschwunden war. Anna weinte. Dicke Tränen
kullerten ihr übers Gesicht, vor lauter Schreck, aber auch, weil
ihre Laterne nun dunkel und zerschunden auf dem Boden lag.
Jakob versuchte sie zu trösten. „Deine Laterne ist viel schöner
als meine.“ Er hob sie schnell vom Boden auf und gab sie Anna.
Notdürftig beulte er die Laterne wieder zurecht. „Sogar jetzt ist
sie noch schöner!“, behauptete er mutig.
Die Erzieherin hatte den Sturz Annas beobachtet und kam jetzt
dazu. „Schnell wieder anzünden!“, bat Jakob und hielt sie der
Betreuerin hin. Die Erzieherin nahm ein Streichholz und zündete
die Kerze in Annas Laterne neu an und reichte sie Anna. Da
versiegten ihre Tränen.
Gleich darauf stimmten alle wieder in das Lied ein: „Ich geh mit
meiner Laterne …“ Anna fühlte sich getröstet. Jakob nahm ihre Hand
und zusammen sangen sie am Lautesten.
Mia, die Katze schlich dem Zug hinterher und wer sich umdrehte,
sah ein paar funkelnde Lichter in der Dunkelheit tanzen. Sie war
wieder auf der Jagd.
© Ingrid Neufeld
Die kleine
Laterne, die Schwalbe und der heilige Martin
Autorin: Judith Lamp
Am Abend war die Arbeit getan. Die Lichter der Stadt
brannten hell, die Menschen waren in ihre Häuser
zurückgekehrt und ruhten nun aus. Auch im Schuppen
eines kleinen Hauses kehrte Ruhe ein. Alle Dinge, die
die Menschen am Tag gebraucht hatten, waren an ihren
Platz zurückgekehrt: der alte Straßenbesen, der ächzte
und jammerte, die Schaufel, die heute den Garten
umgraben musste, die Harke, noch mit Resten von Erde.
Und unter dem Dach des kleinen Schuppens hatte eine
Schwalbe ihren Jungen ein Nest gebaut.
Es ging ein Flüstern und Wispern um. „Noch
eine Geschichte! Noch eine Geschichte!“, konnte
man es von drinnen hören. „Ich bin so
müde!“, jammerte der Straßenbesen. „Nicht
jeden Abend eine Geschichte!“ „Doch, doch,
eine Geschichte wollen wir hören!“ Der alte
Klapptisch, der nur im Sommer benutzt wurde, knarrte.
„Wer ist heute dran?“ Die Wäscheleine
kicherte. Da fiel ihr Blick auf die verstaubte Laterne
in einer dunklen Ecke des Schuppens. Eine Laterne, wie
man sie früher einmal benutzt haben musste. Sie
schepperte. „Ich habe schon darauf gewartet, euch
meine Geschichte zu erzählen. Ich bin nämlich die
Martinslaterne!“ Erst war es still. Plötzlich
aber riefen alle aufgeregt durcheinander. Selbst der
alte Besen wurde munter. „Du kennst den heiligen
Martin? Erzähl uns von ihm!“ – „Meine
Stimme ist verrostet, ich habe lange nicht
gesprochen“, begann die Martinslaterne.
„Aber gut, hört zu:
Alles begann in jener kalten Winternacht, die Tore
der kleinen Stadt sollten bald schließen. Nur in einer
Gaststube brannte noch Licht. Dort saßen Soldaten
zusammen beim Würfelspiel, auch Martin war dabei. Er
hatte, glaube ich, ganz schön viel Geld beim Spielen
verloren. „Kommt Männer“, drängte er
plötzlich, „morgen müssen wir früh
aufstehen!“
Die anderen lachten. „Hast dein ganzes Geld
verloren, Martin, und nun keine Lust mehr zu spielen,
wie?“ Aber sie mochten Martin sehr gern. Also
standen sie auf und bezahlten. Martin griff mich, und
wir gingen gemeinsam in die kalte Nacht hinaus.
Es hatte viel geschneit, die Straßen waren wie
gepudert. Martin schlug den Mantelkragen hoch. Sein
Pferd wieherte leise, als er aufstieg. Langsam ritten
wir los, die anderen Soldaten ein Stück vorneweg. In
den Straßen war es still. „Martin!“ riefen
sie „Komm schneller, deine Laterne soll uns
leuchten!“ Aber Martins Pferd trabte weiter ruhig
durch die verschneiten Straßen. Die anderen hatten das
Stadttor schon erreicht. Da blieben sie stehen.
„Martin!“ johlte einer. „Schade, dass
du kein Geld mehr hast! Sonst hättest du dem hier noch
etwas geben können!“ Sie lachten kurz und ritten
durch das Tor hindurch.
Martin und ich waren nun auch beim Stadttor
angelangt. Ich leuchtete auf die Straße. Im trüben
Licht erkannten wir einen Menschen, der dort hockte in
der kalten Nacht und nur in Lumpen gehüllt war. Er
zitterte vor Kälte.
Schnee war in seine Bettelschale gefallen, aber
nicht ein einziges Geldstück. Martin sprang vom Pferd.
Er sah den armen Mann an. „Die anderen haben
recht“, sagte er zu ihm. „Nichts habe ich
mehr, alles habe ich verspielt.“ Er war bedrückt.
Plötzlich aber hellte sich sein Gesicht auf.
„Was ich dir geben kann, ist das hier!“
– und er riss sich den schweren, roten Mantel,
den einzigen, den er hatte, von der Schulter. Mit
seinem Schwert teilte er ihn in zwei Teile. Einen gab
er dem Bettler. Dabei legte er kurz seine Hand auf die
Schulter des armen Mannes. Der Bettler wollte ihm
danken, aber Martin schwang sich wieder auf sein Pferd
und ritt den anderen hinterher, die schon auf der
anderen Seite des Tores warteten.
Die Laterne schwieg kurz und sagte dann: „Ja,
so war es, und ich war dabei.“ Der alte
Straßenbesen aber rief: „Das war noch nicht
alles! Ich weiß, dass in der Nacht etwas
geschah!“ Die Laterne fuhr fort: „Stimmt!
Martin schlief sehr unruhig. Einmal schreckte er auf,
weil er dachte, er hätte meine Kerze nicht ausgemacht.
Ich lehnte aber ganz dunkel an der Türe. Doch es
stimmte: Das Licht schien in jener Nacht besonders
hell. Und plötzlich kam es mir vor, als würde ich den
Bettler am Fenster sehen, mit Martins rotem Mantel. Er
lächelte uns zu, und sein Gesicht leuchtete.“ Im
Schuppen war es still. „Schade, nun ist die
Geschichte zu Ende“, sagte die Schaufel.
„Nein, ist sie nicht!“ rief da die
Schwalbe, die bisher geschwiegen hatte, plötzlich von
oben herunter. Alle im Schuppen blickten erstaunt.
„Du, Schwalbe?“ fragte die alte Standuhr,
„was hast du uns zu sagen?“ „Die
Geschichte geht weiter, ich glaube, sie wird nie zu
Ende gehen! Aber es ist spät geworden, meine Jungen
wollen schlafen. Morgen erzähle ich euch, was ich
erlebt habe auf meinen Reisen durch die Welt und warum
Martins Geschichte weitergeht.“ Am nächsten Abend
warteten alle gespannt auf die Geschichte der kleinen
Schwalbe. Sie hatte sich auf den Rand des Nestes
gehockt und erzählte:
Wenn ich einen warmen Platz suche, wo ich den Winter
verbringen kann, muss ich viele tausend Kilometer
fliegen. Dabei lerne ich andere Länder kennen. Einmal
ließ ich mich auf einem Baum an einer staubigen Straße
nieder. Überall gab es kleine Hütten. Stellt euch vor,
die waren aus alter Pappe gebaut. Im Hintergrund konnte
ich Hochhäuser einer großen Stadt erkennen und ein
Gebirge. Als die kleine Laterne gestern von Martin und
dem Bettler erzählte, habe ich mich an die vielen
Kinder erinnert, die in der Hitze dort herumliefen. Sie
hatten alle nur ganz alte, dreckige und kaputte Kleider
an. Viele saßen auf der Straße und bettelten. Es gab
nur wenig zu Essen, und Wasser gab es in der Nähe auch
nicht. Ich habe jedenfalls keines gefunden, um meinen
Durst zu löschen.
Die kleine Laterne rief: „Gewiss hätte Martin
hier geholfen! Er hatte immer Wasser bei sich und ein
Stück Brot.“ „Er wäre vom Pferd abgestiegen
und hätte sein Essen mit den Kindern geteilt!“
„Aber für so viele hätte das doch nicht
gereicht!“ wandte der Klapptisch ein, und alle
anderen nickten traurig. „Ja, aber es wäre ein
Anfang gewesen!“ rief die Laterne. „Ich sag
doch, Martins Geschichte geht nie zu Ende“, fuhr
die Schwalbe fort.
„Erzähle, kleine Schwalbe“, meldete sich
der alte Besen, der an diesem Abend gar nicht müde war.
„Was hast du noch gesehen? Wohin wäre Martin noch
gegangen?“
Die Schwalbe reckte ihr Köpfchen. „Zu allen
Kindern, die krank sind, die blind und taub sind, die
nicht gesund werden können, weil sie nicht genug Geld
für gute Medizin haben!“ rief sie aufgeregt. Ich
erinnere mich an einen Garten, wo ich mich auf einer
meiner langen Reisen ausgeruht habe. Da gab es ein
Krankenhaus für Kinder. Ich flog hin und habe sie in
ihren Bettchen gesehen. Wie traurig sie waren! Ihre
Eltern können sie nicht einmal besuchen, weil das
Krankenhaus so weit weg war, und die Eltern kein Geld
für so eine weite Reise hatten.“ „Aber
Martin war kein Arzt, er war Soldat“, seufzte der
Straßenbesen. „Wie hätte er da helfen
können?“ „Er hätte sie getröstet und ihnen
Geschichten erzählt“, antwortete die
Schwalbe.
Die Schwalbe schwieg nun und kehrte in das Nest zu
ihren Jungen zurück. „Du hast recht, Schwalbe.
Martins Geschichte wird nie zu Ende gehen“, sagte
die Laterne. „Ja, wenn nur einer den Anfang
macht“, sagten die anderen einträchtig. „So
wie der heilige Martin damals.“ Dann wurde es
still im kleinen Schuppen.
© Judith Lamp,
Kindermissionswerk Die Sternsinger
Schuster Martin
Erzählt nach einer Geschichte von Leo N.
Tolstoi
Es war einmal ein Schuster, der Martin hieß, und in
einem Keller wohnte. Durch das kleine Kellerfenster
konnte er die Menschen sehen die draußen auf der Straße
vorübergingen. Zwar sah er nur ihre Füße, aber er
erkannte jeden an seinen Schuhen. Fast alle diese
Schuhe und Stiefel hatte er schon ein paar mal geflickt
und ausgebessert.
Er lebte ganz allein in dem Keller der zugleich
Wohnung und Werkstatt war. Seine Frau und alle seine
Kinder waren gestorben.
„Warum hat Gott mir das angetan?“, sagte
er eines Tages zu einem alten Bauern. „Ich habe
keine Freude mehr am Leben.“ „Gott hat es
dir gegeben“, antwortete der Bauer. „Wenn
du für ihn lebst, wirst du nicht mehr traurig
sein.“
„Wie kann ich für Gott leben?“, fragte
Martin.
„Lies die Bibel, dann weißt du es.“
Von diesem Tag an las Martin jeden Abend in der
Bibel. Tagsüber arbeitete er fleißig - er nagelte neue
Sohlen auf die Schuhe und flickte die geplatzten Nähte.
Sobald es jedoch dämmerig wurde, zündete er die Lampe
an und holte die Bibel. Je öfter er darin las, desto
leichter wurde ihm zumute. Eines Abends war er so müde
dass er über der Bibel einschlief.
Am nächsten Morgen schaute er immer wieder aus dem
Fenster. Bald sah er ein Paar geflickte Filzstiefel,
und er wußte, dass es Stepan war, der alte Soldat, der
draußen Schnee schaufelte.
Martin schlug eifrig Nägel in die Schuhsohle. Weil
es ihm aber doch keine Ruhe ließ, schaute er erneut zum
Fenster hinaus. Er sah, wie müde der alte Soldat war
und wie sehr ihn das Schneeschaufeln anstrengte.
„Komm herein, Stepan, und wärme dich in meinem
Keller!“
Der alte Mann schüttelte den Schnee von den Stiefeln
und kam herein.
„Setz dich zu mir“, sagte Martin,
„und trink ein Glas Tee. Das wird dir gut
tun.“ Nachdem der Alte den heißen Tee getrunken
hatte und fort gegangen war, arbeitete Martin
weiter.
Nach einer Welle sah er auf der Straße eine junge
Frau mit einem Kind auf dem Arm. Die Frau fror in einem
viel zu dünnen ärmlichen Kleid und suchte vergeblich,
ihr Kind vor dem kalten Wind zu schützen.
„Komm herein!“ rief ihr Martin zu.
„Setz dich an den Ofen, dass dir warm
wird.“ Er schnitt ein Stück Brot ab, nahm die
Suppe vom Herd und füllte einen Teller. Während die
Frau aß, nahm Martin das Kind auf den Schoß und spielte
mit ihm. Bevor die Frau fort ging, holte er seine alte
Jacke.
„Da! Nimm sie! Ich habe nichts Besseres, aber
du kannst zumindest dein Kind darin
einwickeln.“
Nicht lange danach hörte Martin lautes Geschrei vor
seinem Fenster. Eine Marktfrau schlug auf einen kleinen
Jungen ein, der einen Apfel aus ihrem Korb gestohlen
hatte.
„Warte nur, du Dieb!“, schrie sie
zornig. „Ich bringe dich zur Polizei.“
Martin rannte auf die Straße hinaus. „Laß ihn
doch laufen!“ sagte er zu der Frau. „Er wird es
bestimmt nicht wieder tun. Den Apfel werde ich dir
bezahlen.“
Er gab der Frau ein paar Münzen, dann nahm er den
Apfel und schenkte ihn dem Jungen. „Du musst dich
aber entschuldigen“, sagte er.
Der Junge fing zu weinen an. „Ist schon
gut!“, sagte die Frau.
Als sie weiterging, lief ihr der Junge nach und half
ihr, den schweren Korb zu tragen.
Martin kehrte in den Keller zurück und setzte sich
an die Arbeit. Als es dunkel wurde, zündete er die
Lampe an und schlug die Bibel auf.
Martin sah im Licht der Lampe den alten Stepan
stehen. Die Frau mit dem Kind war da, der Junge mit dem
Apfel und die Marktfrau. Alle lächelten Martin an und
verschwanden dann.
Martin war glücklich. Er nahm die Bibel, und er las
auf der Seite, die er aufgeschlagen hatte: „Ich
war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben. Was
immer ihr den geringsten meiner Brüder getan habt das
habt ihr mir getan.“
St. Martin (ein Bettler erzählt)
Autorin: Ingrid Neufeld
Was war das für ein eisiger Winter damals im Jahr 334!
Schon im September pfiffen eisige Herbstwinde durch die Bäume.
Der viel zu kalte Herbst ließ uns schon ahnen, dass der Winter
hart werden würde. Wer konnte, machte es sich zu Hause gemütlich,
schürte seinen Ofen und dichtete alle Lücken gut ab, damit der
Wind draußen gehalten wurde.
Im letzten Jahr gehörte ich auch noch zu denen, die eine,
wenn auch bescheidene Hütte besaßen. Leider passierte dann im
Frühjahr dieser Unfall. Als Holzfäller arbeitete ich im Wald,
als mir ein Baum direkt auf das Bein fiel. Ich war so stark
verletzt, dass ich nicht mehr arbeiten konnte. Wer braucht schon
einen humpelnden Holzfäller? Sie jagten mich weg und ich wusste
gar nicht, wie ich meine junge Frau durchbringen sollte. Doch
dann geschah das nächste Unglück: meine Frau starb bei der Geburt
unseres ersten Kindes. Und das Baby gleich dazu.
Seither stand ich buchstäblich alleine da. Ohne Frau. Ohne
Zuhause. Ganz alleine. Dann kam der Winter. Zuerst der Dauerregen.
Dann kam der Schnee und mit ihm der Frost. Jeder Atemzug gefror.
Meine Hände waren steif. Meinen Rücken spürte ich schon gar nicht
mehr.
Zum Anziehen hatte ich nur noch das, was ich auf dem Leib trug.
Mehrere Schichten hatte ich übereinander angezogen, trotzdem fror
ich erbärmlich. Es wäre nicht ganz so schlimm gewesen, hätte ich
meine beiden Decken noch gehabt. Doch leider hatten mir andere,
denen es genau so schlimm wie mir erging, meine Decken gestohlen,
mit denen ich mich sonst in der Nacht eingewickelt hatte.
Darum ging ich an jenem Tag direkt vor das Stadttor. In der
Hoffnung, einen mildtätigen Menschen zu finden, der mir vielleicht
eine Decke geben könnte. Ich hatte sonst wenig Hoffnung, die Nacht
zu überleben. Die Angst zu erfrieren war groß …
Es war schon abends und die Stadttore bereits geschlossen.
Darum bestand nur noch wenig Aussicht, jemanden zu finden,
der mir helfen konnte.
Da wurde das schwere Stadttor aufgestoßen und ein Reiter kaum
herausgesprengt. Ich erkannte einen römischen Soldaten und wich
erschrocken zurück. Bei den Soldaten wusste man nie. Die meisten
waren noch halbe Kinder und sahen in ihrem Soldatendasein eine
gute Gelegenheit mit jedem Streit anzufangen.
Ich wollte gerade in Deckung gehen, als er direkt vor mir
anhielt. „Wohin gehst du?“, wollte er wissen. Mir schlotterten
die Knie und ich wusste nicht mehr zu sagen, ob vor Angst, oder
vor Kälte. „Hast du einen Platz zum Schlafen?“, bohrte er nach.
Mit klappernden Zähnen verneinte ich. Von oben bis unten blickte
er mich prüfend an. „Hast du wenigstens eine Decke?“, fragte er
dann. „Die wurde mir gestohlen!“, entfuhr es mir. Gleichzeitig
hätte ich mir auf die Zunge beißen können. Wer weiß wie er so
eine Behauptung aufnahm?
Doch der Soldat schaute mich nur an. Ich glaubte Mitleid in
seinem jungenhaften Gesicht zu sehen. „Du brauchst was, in das
du dich einwickeln kannst. Sonst überlebst du die Nacht nicht!“,
stellte er fest. Bevor ich darauf antworten konnte, sprang er
vom Pferd, riss seinen eigenen Mantel von den Schultern und
zerteilte diesen mit seinem Schwert!
Oh ja! Wenn ich es doch sage: er zerteilte seinen eigenen
Mantel mit seinem Schwert! Unfassbar, aber wahr! Er zerstörte
Militäreigentum! Ich glaubte es kaum, denn der traute sich was!
Ich wusste, dass die Römer sehr pingelig waren, wenn es um
Militärsachen ging. Und so ein Mantel gehörte nicht dem Soldaten,
der gehörte dem Militär.
Aber damit nicht genug: er gab mir die andere Hälfte und
schenkte sie mir! Er zerstörte nicht nur Militäreigentum –
er verschenkte es auch! Wie im Traum wickelte ich mich mit der
Mantelhälfte ein. Sie rettete mir wirklich das Leben –
Deshalb kann ich noch heute diese Geschichte erzählen.
Und was wurde aus Martin? Dem erschien in dieser Nacht Jesus
im Traum. Danach wusste er, dass er den Militärdienst aufgeben
und ein Leben für Gott leben sollte. Das tat er dann auch. Er
wurde nämlich Bischof und kümmerte sich sein ganzes Leben um die
Armen.
© Ingrid Neufeld
St. Martin (sein Pferd erzählt)
Autorin: Ingrid Neufeld
Artax war sein ganzes Leben lang ein stolzer Hengst gewesen. Doch
nun lag er in seiner Box, alle Viere von sich gestreckt und röchelte
schwerfällig. In der Box daneben stand ein junges Fohlen, das ihn
munter anstubbste: „Du musst ein wenig Wasser trinken, dann geht es
dir wieder besser.“
Aus wässrigen Augen schaute Artax das Fohlen gutmütig an. Er wusste
es besser. Doch er tat ihm den Gefallen und schlürfte ein wenig Wasser.
Tatsächlich erholte er sich ein wenig, zumindest so viel, dass er sich
wieder aufrichten konnte. „Erzähl mir von deinem Leben!“, bat das
neugierige Fohlen.
Artax schüttelte den Kopf. „Es gibt nichts zu erzählen.“ Aber da
erinnerte er sich wieder. „Doch – ja – eine Geschichte gibt es. Daran
werde ich immer denken. Damals hatte ich einen Herrn von dem möchte
ich dir erzählen.
Dieser Herr – er hieß Martin – war damals noch ein
junger, ungestümer Mann. Von frühester Jugend an wollte er Soldat
werden. Deshalb trat er in die Armee ein. Er war noch nicht mal
achtzehn! Aber ein wilder Draufgänger. Er liebte das Soldatenleben
– und er liebte mich. Ja! Wirklich! Er mochte mich so sehr,
dass ich sein ständiger Begleiter wurde. Gleich nach dem Aufstehen
sah er nach mir, brachte mir Futter, umsorgte mich und ritt mit mir
aus. Er wusste was sich gehörte – auch uns Tieren gegenüber.
Bis spät abends fand er die Zeit, mit mir auszureiten. Vor allem
im Frühling und Sommer hatten wir viel Spaß miteinander. Dann wurde
wieder Winter. Es schneite und es war eiskalt. Obwohl es schon
dämmerte, kam er noch mal zu mir, sattelte mich und ritt wieder mit
mir aus. Auch ich war damals jung und mir gefielen seine schnittigen
Ausritte. Kälte hin, oder her. So konnte ich es kaum erwarten und
galloppierte so schnell ich konnte aus der Stadt hinaus. Doch wir
waren kaum draußen, als mich Martin scharf am Zügel riss. Obwohl ich
es nicht verstand, reagierte ich sofort und blieb stehen.
Direkt vor uns im Schnee lag eine Gestalt, die erschrocken vor sich
hin wimmerte. Sicherlich hatte dieser Mensch Angst, Martin könnte ihm
etwas tun. Soldaten waren in der Bevölkerung nicht gerade beliebt. Man
wusste nie, was sie mit einem anstellten. Ich wusste auch nicht, was
Martin vor hatte.
Er fragte die erbärmliche Gestalt vor uns: „Hast du keinen Platz
zum Schlafen?“ Die Gestalt zitterte. Ich wusste nicht ob vor Angst,
oder weil er ganz einfach fror. „Nein!“, stotterte sie endlich.
Spätestens jetzt wusste Martin, dass er einen Bettler vor sich
hatte. Und dann geschah es: er zog sich seinen Soldatenmantel von
den Schultern, nahm sein Schwert und teilte den Mantel mitten
entzwei. Die eine Hälfte reichte er dem Bettler, die andere wickelte
er um sich selbst.
„Nimm und wickle dich ein. So hast du es wenigstens ein wenig
warm.“ Der Bettler wusste gar nicht, wie ihm geschah. Aber er tat wie
ihm befohlen und wickelte sich ein. Darauf wendete er mich und ritt
wieder nach Hause. Die Begegnung mit dem Bettler hatte ihn sichtlich
aufgewühlt.
Am nächsten Tag flüsterte er vor sich hin: „Ich habe von Jesus
geträumt!“ Seit dieser Zeit wirkte er in sich gekehrt. Leider dauerte
es nicht lange und er verließ das Heer. Damals wurde ich von ihm
getrennt.“ Bedauernd schaute Artax das Fohlen an. „Hast du nie mehr von
ihm gehört“, wollte das kleine Fohlen wissen.
„Doch schon. Weißt du Martin ist später ein berühmter Mann geworden.
Das hat sich bis zu mir herumgesprochen. Und das kam so: Der Bettler
hatte anderen Bettlern davon erzählt, dass Martin ihn vor dem Erfrieren
gerettet hatte und die wiederum haben es weitererzählt. So wurde Martin
überall bekannt und die Menschen bedrängten ihn und wollten ihn zum
Bischof machen. Doch Martin war ein bescheidener Mensch. Er wollte das
gar nicht. Er hielt sich selbst für dieses Amt gar nicht geeignet.
Als die Menschen wieder kamen, um ihn zu fragen, versteckte er sich
vor ihnen im Gänsestall. Aber Gänse sind einfach dumm. Ich mochte sie
noch nie. Sie kapierten nicht, dass Martin sich verstecken wollte.
Die Gänse schnatterten so laut, dass sie seinen Aufenthaltsort damit
verrieten. So wurde Martin am Ende doch noch Bischof. Und alle Leute
erzählten, er wäre ein wunderbarer Bischof geworden.“
Am Ende dieser Geschichte fühlte sich Artax so gut wie schon lange
nicht mehr an seinen alten Tagen und das Fohlen bewunderte ihn, weil
er der Gefährte des berühmten Bischof Martin gewesen ist.
© Ingrid Neufeld
Was ein Heiliger ist
Autor: Heinrich Engel
Günter ging mit seiner Mutter einkaufen. Auf dem Weg zum Markt kamen sie
an einer großen Kirche vorbei. Günter schaute an der Kirche hoch und sagte:
„Mutti, guck mal, die großen Fenster sind ja ganz schön schmutzig, die sehen
aber gar nicht schön aus.“
Die Mutter sagte nichts, sondern nahm Günter an der Hand und ging mit ihm
in die Kirche hinein. Hier waren die Fenster, die von außen ganz grau und
schmutzig aussahen, plötzlich strahlend bunt und leuchteten in den hellsten
Farben. Da staunte Günter, und er schaute sich die Fenster genau an. Vorne
über dem Altar war ein auffallend schönes Fenster zu sehen - mit vielen
Heiligenfiguren. Und durch eine Figur strahlte gerade die Sonne hindurch,
so dass sie besonders hell war. Günter fragte: „Mutti, wer ist das?“ - „Da
vorne“, antwortete die Mutter, „das ist ein Heiliger, der heilige Martin“.
Das hatte sich Günter gut gemerkt.
Ein paar Tage später hatte die Klasse Religionsunterricht. Plötzlich fragte
der Lehrer: „Wer von euch kann mir sagen, was ein Heiliger ist?“ Da war großes
Schweigen in der Klasse. Nur Günter zeigte auf und sagte: „Ich weiß es; ein
Heiliger, das ist ein Mensch, durch den die Sonne scheint!“