Die Laterne, die Schwalbe und der heiige Martin, Martinsgeschichte – Festgestaltung

Die kleine Laterne, die Schwalbe und der heilige Martin

Autorin: Judith Lamp

Am Abend war die Arbeit getan. Die Lichter der Stadt brannten hell, die Menschen waren in ihre Häuser zurückgekehrt und ruhten nun aus. Auch im Schuppen eines kleinen Hauses kehrte Ruhe ein. Alle Dinge, die die Menschen am Tag gebraucht hatten, waren an ihren Platz zurückgekehrt: der alte Straßenbesen, der ächzte und jammerte, die Schaufel, die heute den Garten umgraben musste, die Harke, noch mit Resten von Erde. Und unter dem Dach des kleinen Schuppens hatte eine Schwalbe ihren Jungen ein Nest gebaut.

Es ging ein Flüstern und Wispern um. „Noch eine Geschichte! Noch eine Geschichte!“, konnte man es von drinnen hören. „Ich bin so müde!“, jammerte der Straßenbesen. „Nicht jeden Abend eine Geschichte!“ „Doch, doch, eine Geschichte wollen wir hören!“ Der alte Klapptisch, der nur im Sommer benutzt wurde, knarrte. „Wer ist heute dran?“ Die Wäscheleine kicherte. Da fiel ihr Blick auf die verstaubte Laterne in einer dunklen Ecke des Schuppens. Eine Laterne, wie man sie früher einmal benutzt haben musste. Sie schepperte. „Ich habe schon darauf gewartet, euch meine Geschichte zu erzählen. Ich bin nämlich die Martinslaterne!“ Erst war es still. Plötzlich aber riefen alle aufgeregt durcheinander. Selbst der alte Besen wurde munter. „Du kennst den heiligen Martin? Erzähl uns von ihm!“ – „Meine Stimme ist verrostet, ich habe lange nicht gesprochen“, begann die Martinslaterne. „Aber gut, hört zu:

Alles begann in jener kalten Winternacht, die Tore der kleinen Stadt sollten bald schließen. Nur in einer Gaststube brannte noch Licht. Dort saßen Soldaten zusammen beim Würfelspiel, auch Martin war dabei. Er hatte, glaube ich, ganz schön viel Geld beim Spielen verloren. „Kommt Männer“, drängte er plötzlich, „morgen müssen wir früh aufstehen!“

Die anderen lachten. „Hast dein ganzes Geld verloren, Martin, und nun keine Lust mehr zu spielen, wie?“ Aber sie mochten Martin sehr gern. Also standen sie auf und bezahlten. Martin griff mich, und wir gingen gemeinsam in die kalte Nacht hinaus.

Es hatte viel geschneit, die Straßen waren wie gepudert. Martin schlug den Mantelkragen hoch. Sein Pferd wieherte leise, als er aufstieg. Langsam ritten wir los, die anderen Soldaten ein Stück vorneweg. In den Straßen war es still. „Martin!“ riefen sie „Komm schneller, deine Laterne soll uns leuchten!“ Aber Martins Pferd trabte weiter ruhig durch die verschneiten Straßen. Die anderen hatten das Stadttor schon erreicht. Da blieben sie stehen. „Martin!“ johlte einer. „Schade, dass du kein Geld mehr hast! Sonst hättest du dem hier noch etwas geben können!“ Sie lachten kurz und ritten durch das Tor hindurch.

Martin und ich waren nun auch beim Stadttor angelangt. Ich leuchtete auf die Straße. Im trüben Licht erkannten wir einen Menschen, der dort hockte in der kalten Nacht und nur in Lumpen gehüllt war. Er zitterte vor Kälte.

Schnee war in seine Bettelschale gefallen, aber nicht ein einziges Geldstück. Martin sprang vom Pferd. Er sah den armen Mann an. „Die anderen haben recht“, sagte er zu ihm. „Nichts habe ich mehr, alles habe ich verspielt.“ Er war bedrückt. Plötzlich aber hellte sich sein Gesicht auf.

„Was ich dir geben kann, ist das hier!“ – und er riss sich den schweren, roten Mantel, den einzigen, den er hatte, von der Schulter. Mit seinem Schwert teilte er ihn in zwei Teile. Einen gab er dem Bettler. Dabei legte er kurz seine Hand auf die Schulter des armen Mannes. Der Bettler wollte ihm danken, aber Martin schwang sich wieder auf sein Pferd und ritt den anderen hinterher, die schon auf der anderen Seite des Tores warteten.

Die Laterne schwieg kurz und sagte dann: „Ja, so war es, und ich war dabei.“ Der alte Straßenbesen aber rief: „Das war noch nicht alles! Ich weiß, dass in der Nacht etwas geschah!“ Die Laterne fuhr fort: „Stimmt! Martin schlief sehr unruhig. Einmal schreckte er auf, weil er dachte, er hätte meine Kerze nicht ausgemacht. Ich lehnte aber ganz dunkel an der Türe. Doch es stimmte: Das Licht schien in jener Nacht besonders hell. Und plötzlich kam es mir vor, als würde ich den Bettler am Fenster sehen, mit Martins rotem Mantel. Er lächelte uns zu, und sein Gesicht leuchtete.“ Im Schuppen war es still. „Schade, nun ist die Geschichte zu Ende“, sagte die Schaufel.

„Nein, ist sie nicht!“ rief da die Schwalbe, die bisher geschwiegen hatte, plötzlich von oben herunter. Alle im Schuppen blickten erstaunt. „Du, Schwalbe?“ fragte die alte Standuhr, „was hast du uns zu sagen?“ „Die Geschichte geht weiter, ich glaube, sie wird nie zu Ende gehen! Aber es ist spät geworden, meine Jungen wollen schlafen. Morgen erzähle ich euch, was ich erlebt habe auf meinen Reisen durch die Welt und warum Martins Geschichte weitergeht.“ Am nächsten Abend warteten alle gespannt auf die Geschichte der kleinen Schwalbe. Sie hatte sich auf den Rand des Nestes gehockt und erzählte:

Wenn ich einen warmen Platz suche, wo ich den Winter verbringen kann, muss ich viele tausend Kilometer fliegen. Dabei lerne ich andere Länder kennen. Einmal ließ ich mich auf einem Baum an einer staubigen Straße nieder. Überall gab es kleine Hütten. Stellt euch vor, die waren aus alter Pappe gebaut. Im Hintergrund konnte ich Hochhäuser einer großen Stadt erkennen und ein Gebirge. Als die kleine Laterne gestern von Martin und dem Bettler erzählte, habe ich mich an die vielen Kinder erinnert, die in der Hitze dort herumliefen. Sie hatten alle nur ganz alte, dreckige und kaputte Kleider an. Viele saßen auf der Straße und bettelten. Es gab nur wenig zu Essen, und Wasser gab es in der Nähe auch nicht. Ich habe jedenfalls keines gefunden, um meinen Durst zu löschen.

Die kleine Laterne rief: „Gewiss hätte Martin hier geholfen! Er hatte immer Wasser bei sich und ein Stück Brot.“ „Er wäre vom Pferd abgestiegen und hätte sein Essen mit den Kindern geteilt!“ „Aber für so viele hätte das doch nicht gereicht!“ wandte der Klapptisch ein, und alle anderen nickten traurig. „Ja, aber es wäre ein Anfang gewesen!“ rief die Laterne. „Ich sag doch, Martins Geschichte geht nie zu Ende“, fuhr die Schwalbe fort.

„Erzähle, kleine Schwalbe“, meldete sich der alte Besen, der an diesem Abend gar nicht müde war. „Was hast du noch gesehen? Wohin wäre Martin noch gegangen?“

Die Schwalbe reckte ihr Köpfchen. „Zu allen Kindern, die krank sind, die blind und taub sind, die nicht gesund werden können, weil sie nicht genug Geld für gute Medizin haben!“ rief sie aufgeregt. Ich erinnere mich an einen Garten, wo ich mich auf einer meiner langen Reisen ausgeruht habe. Da gab es ein Krankenhaus für Kinder. Ich flog hin und habe sie in ihren Bettchen gesehen. Wie traurig sie waren! Ihre Eltern können sie nicht einmal besuchen, weil das Krankenhaus so weit weg war, und die Eltern kein Geld für so eine weite Reise hatten.“ „Aber Martin war kein Arzt, er war Soldat“, seufzte der Straßenbesen. „Wie hätte er da helfen können?“ „Er hätte sie getröstet und ihnen Geschichten erzählt“, antwortete die Schwalbe.

Die Schwalbe schwieg nun und kehrte in das Nest zu ihren Jungen zurück. „Du hast recht, Schwalbe. Martins Geschichte wird nie zu Ende gehen“, sagte die Laterne. „Ja, wenn nur einer den Anfang macht“, sagten die anderen einträchtig. „So wie der heilige Martin damals.“ Dann wurde es still im kleinen Schuppen.

© Judith Lamp, Kindermissionswerk Die Sternsinger

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