Die Lerche stieg am Ostermorgen
Autor: Emanuel Geibel
Die Lerche stieg am Ostermorgen
            empor ins klarste Luftgebiet
            und schmettert, hoch im Blau verborgen,
            ein freudig Auferstehungslied.
            Und wie sie schmetterte, da klangen
            es tausend Stimmen nach im Feld:
            Wach auf, das Alte ist vergangen,
            wach auf, du frohverjüngte Welt!
Wacht auf und rauscht durchs Tal, ihr Brunnen,
            und lobt den Herrn mit frohem Schall!
            Wacht auf im Frühlingsglanz der Sonnen,
            ihr grünen Halm und Läuber all!
            Ihr Veilchen in den Waldesgründen,
            Ihr Primeln weiß, ihr Blüten rot,
            Ihr sollt es alle mitverkünden:
            Die Lieb’ ist stärker als der Tod.
Wacht auf, ihr trägen Menschenherzen,
						Die ihr im Winterschlafe säumt,
						In dumpfen Lüsten, dumpfen Schmerzen
						Ein gottentfremdet Dasein träumt.
						Die Kraft des Herrn weht durch die Lande
						Wie Jugendhauch, o laßt sie ein!
						Zerreißt wie Simson eure Bande,
						Und wie der Adler sollt ihr sein.
Wacht auf, ihr Geister, deren Sehnen
						Gebrochen an den Gräbern steht,
						Ihr trüben Augen, die vor Tränen
						Ihr nicht des Frühlings Blüten seht,
						Ihr Grübler, die ihr fern verloren
						Traumwandelnd irrt auf wüster Bahn,
						Wacht auf! Die Welt ist neugeboren,
						Hier ist ein Wunder, nehmt es an!
Ihr sollt euch all des Heiles freuen,
						Das über euch ergossen ward!
						Es ist ein inniges Erneuen
						Im Bild des Frühlings offenbart.
						Was dürr war, grünt im Wehn der Lüfte,
						Jung wird das Alte fern und nah,
						Der Odem Gottes sprengt die Grüfte –
						Wacht auf! der Ostertag ist da.

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