Adventsgedichte von Rainer Maria Rilke

Adventsgedichte, Adventstlyrik, Adventspoesie – von Rainer Maria Rilke

Adventsgedichte

Der Abend kommt

Autor: Rainer Maria Rilke

Der Abend kommt von weit gegangen
durch den verschneiten, leisen Tann.
Dann presst er seine Winterwangen
an alle Fenster lauschend an.

Und stille wird ein jedes Haus;
die Alten in den Sesseln sinnen,
die Mütter sind wie Königinnen,
die Kinder wollen nicht beginnen
mit ihrem Spiel. Die Mägde spinnen
nicht mehr. Der Abend horcht nach innen,
und innen horchen sie hinaus.

Fensterblick Winterlandschaft
Fensterblick Winterlandschaft
Bild von G.C. auf Pixabay

Die hohen Tannen

Autor: Rainer Maria Rilke

Die hohen Tannen atmen heiser
im Winterschnee, und bauschiger
schmiegt sich sein Glanz um alle Reiser.
Die weißen Wege werden leiser,
die trauten Stuben lauschiger.

Schneebedeckte Tannen
Schneebedeckte Tannen
Bild von Couleur auf Pixabay

Es gibt so wunderweiße Nächte

Autor: Rainer Maria Rilke

Es gibt so wunderweiße Nächte,
drin alle Dinge Silber sind.
Da schimmert mancher Stern so lind,
als ob er fromme Hirten brächte
zu einem neuen Jesuskind.

Weit wie mit dichtem Demantstaube
bestreut, erscheinen Flur und Flut,
und in die Herzen, traumgemut,
steigt ein kapellenloser Glaube,
der leise seine Wunder tut.

Bäume und Schnee im Sonnenuntergang
Bäume und Schnee im Sonnenuntergang
Bild von Alain Audet auf Pixabay

Es treibt der Wind im Winterwalde

Autor: Rainer Maria Rilke

Es treibt der Wind im Winterwalde
Die Flockenherde wie ein Hirt,
Und manche Tanne ahnt, wie balde
Sie fromm und lichterheilig wird,
und lauscht hinaus. Den weißen Wegen
streckt sie die Zweige hin – bereit
und wehrt dem Wind und wächst entgegen
der einen Nacht der Herrlichkeit.

Feld und Bäume bei Tag mit Schnee bedeckt
Wald und Bäume bei Tag mit Schnee bedeckt
Foto: Sandra Grünewald / Unsplash