Das Engelskind Anna, Weihnachtsgeschichte – Festgestaltung
Das Engelskind Anna
Autorin: Janah Kramer
Es war wieder einmal Weihnachten auf der Erde. Der Weihnachtsmann lud alle Geschenke für die Menschenkinder auf seinen großen Schlitten. Der Schlitten sah sehr prächtig aus und er wurde von 7 Rentieren gezogen. Neben den Geschenkpaketen saßen 7 Engel, die dem Weihnachtsmann helfen sollten, die Geschenke zu verteilen. Im Himmel gab es ja ganze Scharen von Engeln, aber nur 7 Engel wurden für diese Heilige Nacht ausgewählt.
In diesem Jahr war nun also die Wahl auch auf das Engelskind Anna gefallen. Schon tagelang vorher war sie aufgeregt und sie träumte jede Nacht von der Fahrt mit dem herrlichen Rentierschlitten. Dann am Heiligen Abend war es endlich soweit. Die Rentiere hatten vor lauter Aufregung rote Nasen, und die Engel hatten ihre goldenen Flügel solange geputzt, dass sie jetzt im Sternenlicht wunderbar funkelten und blinkten. Hey, was machte das für einen großen Spaß mit dem Geschenkeschlitten durch den Himmel zu fliegen!
Der Weihnachtsmann drehte sich zu seinen Engeln um, lächelte Anna freundlich an und blinzelte dabei mit den Augen, als ob er ihr etwas sagen wollte. Im nächsten Moment ging ein Ruck durch den Schlitten: eines der Rentiere hatte einen Schluckauf bekommen. Ein Rentier mit Schluckauf? Der Weihnachtsmann fing laut zu lachen an, und auch die Engel stimmten in das Lachen ein; das klang dann so, als würden Glocken klingen. Da aber passierte es: eines der Pakete geriet in's Rutschen und als Anna danach greifen wollte, fiel auch sie vom Schlitten herunter. Schnell bewegte sie ihre Flügel, und sie schaffte es auch noch, das Paket aufzufangen. Als sie sich dann umschaute, war der Schlitten schon weit davongefahren.
Unter sich sah Anna aber schon die Häuser der Menschen.Und so landete sie erst einmal ganz sanft und leise auf der Erde. Sie stand ganz verloren zwischen den Menschen. Das Paket in ihren Händen drückte es fest an sich, so als könnte sie sich daran festhalten. Aber warum blieben die Menschen stehen? Manche schauten sie verwundert an, als könnten sie nicht glauben, was sie dort sahen. Wieder andere lachten Anna einfach nur aus! Warum nur? Anna sah doch genauso aus wie ein Menschenkind. Bis auf die goldenen Flügel; so etwas hatten die Menschen noch nie gesehen!
Anna schaute verlegen auf den Boden und wünschte sich ganz fest, dass ihre Flügel unsichtbar wären. Und mit einem mal gingen die Menschen achtlos an ihr vorbei, denn ihr Wunsch war in Erfüllung gegangen.
Der Schlitten mit dem Weihnachtsmann würde erst in einem Jahr wieder zur Erde kommen. Solange musste Anna erst einmal bei den Menschen leben. Es fiel ihr nicht leicht, aber es gab sehr nette Menschen, die ihr halfen. Sie lernte aber auch, dass es Kriege zwischen den Menschen gab; und auch Hass, Neid, Hunger und Kälte. Ganz schlimm war es, wenn Anna traurige Menschen sah. Dann wurde auch sie traurig. Zuhause bei den anderen Engeln gab es so etwas nicht. Alle Engel waren immer freundlich und nett und es gab niemals Streit. Engel kennen deshalb auch keine Tränen. Aber weil Anna bei den Menschen lebte und sie manchmal sehr traurig war, geschah es eines Tages: Anna weinte!
Ein junger Mann sah ihre Tränen und er nahm Anna in seine Arme. Er gab ihr soviel Wärme und Geborgenheit, dass die Tränen bald trockneten. Und nach einer kleinen Weile schenkte Anna ihm ein himmlisches Lächeln als Dank. Da wurde auch der junge Mann glücklich und froh. Sie wurden Mann und Frau und lebten glücklich miteinander.
Es war aber fast ein Jahr vergangen und die Weihnachtszeit kam wieder heran. Der Weihnachtsmann würde mit seinem Schlitten zur Erde kommen und Anna würde wieder zu den anderen Engeln in den Himmel zurückkehren. Sie hatte aber ihren Mann sehr lieb gewonnen und wollte ihn nicht verlassen. So schrieb sie eines Tages, wie die anderen Menschenkinder, einen Brief an den Weihnachtsmann.
„Lieber Weihnachtsmann!
Das Leben hier auf der Erde ist nicht immer so schön wie bei deinen Engeln im Himmel. Aber ich habe einen lieben Mann und Freunde, die alle traurig wären, wenn ich von hier fort müsste. Es gibt auch noch so viele traurige Augen, in die ich ein Lächeln zaubern möchte, so viele traurige Herzen, die ich fröhlich machen möchte … Ich kann hier einfach nicht weggehen, kannst Du das verstehen?
Dein Engelskind Anna“
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten:
„Mein lieber Engel Anna!
Seit langer, langer Zeit schon komme ich mit meinem Schlitten zur Weihnachtszeit zu den Menschen auf die Erde. Und jedes mal ist ein kleiner Engel vom Schlitten gefallen … Die Menschen brauchen diese Engel. Ohne sie wäre das Leben auf der Welt noch ein bisschen kälter, noch ein bisschen trauriger. Bleib’ bei den Menschen, Anna, sie brauchen dich! Wie lange du noch bleiben kannst, kann auch ich dir nicht sagen. Irgendwann wirst auch du gehen müssen, wie alle anderen Menschen auch. Aber ich verspreche dir, dass ich dann einen anderen Engel zur Erde schicken werde, damit dein Mann und deine Freunde nicht allzu traurig sind. Und denke immer daran: vielleicht ist ein Mensch, der dir begegnet, auch ein Engel. Ein Engel mit unsichtbaren Flügeln.
Dein Weihnachtsmann“
© Janah Kramer, Lüneburg, Dezember 1995
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