Allerseelen – Rainer Maria Rilke

Allerseelen

Autor: Rainer Maria Rilke

I

Rings liegt der Tag von Allerseelen
voll Wehmut und voll Blütenduft,
und hundert bunte Lichter schwelen
vom Feld des Friedens in die Luft.

Sie senden Palmen heut und Rosen;
der Gärtner ordnet sie mit Sinn -
und kehrt zum Eck der Glaubenslosen
die alten, welken Blumen hin.

II

„Jetzt beten, Willi, - und nicht reden!“
Mit großem Aug gehorcht der Knab.
Der Vater legt den Kranz Reseden
auf seines armen Weibes Grab.

„Die Mutter schläft hier! Mach ein Kreuz nun!“
Klein Willi sieht empor und macht,
wie ihm befohlen. Ach, ihn reuts nun,
dass er am Weg heraus gelacht!

Es sticht im Auge ihn - wie Weinen …
Dann gehn sie heimwärts durch die Nacht;
ganz ernst und stumm. Da lockt den Kleinen
beim Ausgang jäh der Buden Pracht.

Es blinkt durch den Novembernebel
herüber lichtbeglänzter Tand;
er sieht dort Pferdchen, Helme, Säbel
und küsst dem Vater leis die Hand.

Und der versteht. Dann gehn sie weiter
Der Vater sieht so traurig aus. -
Doch einen Pfefferkuchenreiter
schleppt Willi selig sich nach Haus.

Allerseelen-Statuen auf einem Friedhof
Allerseelen-Statuen auf einem Friedhof
Bild von Elzbieta Moore auf Pixabay

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