Tanka über das ganze Jahr
Autorin: Heidi Hollmann
Januar
Grimmer kalter Herr.
Schickst uns die weißen Flocken.
Die Kinder erfreun.
Sie ziehen ihre Schlitten.
Sind voll der Seligkeiten.
Februar
Du treibst es sehr bunt.
Karneval steht vor der Tür.
Mit Helau-Alaaf.
Sie schlagen über Stränge.
Ist nicht immer das Wahre.
März
Frühlingsmonat März
Du lässt hoffen und ahnen.
Machst die Seelen weit.
Buntes steigt aus der Erde.
Erfreut so manches Gemüt.
April
Du lässt es nicht sein.
Der April macht, was er will.
So heißt es bei uns.
Schickst uns laufend den Regen.
Übernimm Dich bitte nicht.
Mai
Du Wonnemonat
Lässt es blühen und gedei’n.
So lieben wir Dich.
Schenk uns aus Deiner Fülle.
Ach, du machst uns häufig froh.
Juni
Blaue Wolken ziehn.
Die Luft ist voller Düfte.
Tun dem Herzen wohl.
So könnt es ewig bleiben.
Bis der Juli sehr bald folgt
Juli
Du bringst uns Milde.
Du schickst uns sanften Regen.
Die Erde wird nass.
Die Frische ist ein Genuss.
Ohne Regen kein Blühen
August
Praller Sonnenschein
Das Leben voller Wonne
Bringt uns viel Genuss.
Könnte ewig so bleiben.
Abwechslung ist angesagt
September
Stürme hier und da.
Das Jahr ist fortgeschritten.
Wir nehmen es hin.
Bald kommen Erntezeiten
Wir legen Vorräte an.
Oktober
Du guter Freund Du.
Lass die Sonne mild scheinen.
Sie bringt uns Segen.
Bunte Blätter erfreun uns.
Kastanien als Kleinod.
November
Du bis ziemlich trist.
Mit Deinen Tauertagen.
Machst melancholisch.
Im Anblick der Endlichkeit.
Gedenken wir des Todes.
Dezember
Freude überall.
Advent, der uns Hoffnung bringt.
Alles wird geschmückt.
Bald kommt der Tag der Tage.
Die Geburt Christi ist nah!
© Heidi Hollmann
Tanka heißt „Kurzes Gedicht“. Er ist ein um zwei Zeilen verlängerter Haiku und stammt ebenfalls aus dem Japanischen.
Ein Haiku besteht aus drei reimlosen Versen, von denen der erste fünf, der zweite sieben und der dritte wieder fünf Silben umfassen muss. Ein Wort des Gedichts muss eine Jahreszeit benennen oder deutlich auf sie anspielen. Schließlich muss sich an einem der Zeilenenden eine Sprechpause (Zäsur) befinden. Man kann durch diese vorgegebene Art der Formulierung eine ganze Geschichte „erzählen“. Es gibt sogar komplette Bücher mit Haikus, die aussagekräftig sind.
Wenn man besonders schreibfreudig ist, kann man einen Haiku um zwei weitere Zeilen (mit jeweils sieben Silben) zum Tanka erweitern und vollenden. Ein Tanka besteht also aus fünf Zeilen (5-7-5-7-7 Silben).
Ein Tanka gliedert sich in Oberstollen (Zeile 1-3) und Anschlussstollen (Zeile 4+5). So kann der erste Teil, der Oberstollen, wie bei einem Haiku, ein Bild oder eine Idee zeichnen. Dieses Bild wird im zweiten Teil, dem Anschlussstollen, vollendet und eröffnet dem Leser neue Gedankenrichtungen. Durch Weglassen des zweiten Teils des Tanka, des Anschlussstollens, entstand später eine Form, die sich zum Haiku entwickelte.
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