Walpurgisnacht – Mickwitz

Walpurgisnacht

Autor: Christoph von Mickwitz

Fantasielandschaft Walpurgisnacht
Fantasielandschaft Walpurgisnacht
Bild von G.C. auf Pixabay

„Der Mai ist gekommen,
Die Bäume schlagen aus!”
Wer hätte den Ruf vernommen
Und bliebe noch still zu Haus?

Hinaus, hinaus in’s Freie,
Wer noch mit begeisterter Brust
Empfindet der Stunden Weihe
In jauchzender Frühlingslust!

Hinaus und fachet ein Feuer
Dem Mai, ein loderndes, an,
Damit er mit Ehren auch heuer
Den Einzug halten kann …

Schon glimmen, schon glühen die Flammen,
Schon stiebet1 der Funken Pracht:
So feiern wir jubelnd zusammen
Die alte Walpurgisnacht.

Und aus den Flammen steigen
Viel lustige Geister hervor,
Sie wiegen sich fliegend im Reigen
Und schwingen sich singend im Chor.

Die Hexen schweben hernieder
Und dreh’n sich im feurigen Kreis:
Da fährt es auch uns durch die Glieder,
Wie ein Taumel, fieberheiß.

Und immer heißer und voller
Erknistert die prasselnde Glut,
Und immer rasender, toller
Entfacht sie das rasche Blut.

Und wie uns die Flammen umschlagen,
Da sind wir, wer weiß es noch, wo?
Es umrauschen uns alte Sagen,
Es umglüht uns die Waberloh2.

Die Nornen3 nahen und singen
Enträtselte Runen4 uns vor,
Die gewaltigen Weisen klingen
Heimlich ins horchende Ohr.

Die Flammen flackern und flimmern
Und prasseln in toller Hast:
Schon ist’s uns, als sähen wir schimmern
Tief drinnen den Zauberpalast.

Da schlägt in der strahlenden Brüstung
Der Schönheit sie stolze Brunhild,
Umschlossen von erzener Rüstung,
Gewappnet mit Speer und mit Schild.

Da träumt sie beim Flammengeprassel,
Das rings sie lodernd umfängt,
Von Waffen und Kampfgerassel
Und dem, der die Fesseln ihr sprengt —

Von Sigurd, dem Allbezwinger,
Der siegreich den Winter schreckt,
Von Sigurd, dem Lebenbringer,
Der die schlummernde Erde weckt:

Da harrt sie der Hochzeitsfeier,
Bis hell das Triumphlied klingt,
Mit dem der gewaltige Freier
Im Feuer die Braut sich eringt.

Und wie sie das Lied vernommen,
Erwacht sie aus dumpfer Ruh:
„Der Mai, der Mai ist gekommen,
Nun Sigurd, nahest auch du!” — —

Hoch prasseln noch auf die Flammen,
Eine wilde Feuerflut —
Dann sinken sie knisternd zusammen
Und langsam verlischt die Glut.

Doch uns in den Herzen da sprüht es
Und ringt es in mächtigem Drang,
Doch uns in den Herzen da glüht es
Und klingt es in prächtigem Sang.

„Der Mai, der Mai ist gekommen!”
Du zaubergewaltiges Wort,
Wenn längst das Feuer verglommen,
Du tönest im Herzen fort.

Du sollst und wirst nicht verklingen,
So lang` noch die Wolken gehn,
So lang` noch die Menschen zu singen
Und freudig zu jubeln versteh’n.

Und die ihr dies Lied vernommen,
Frisch auf und jauchzt es hinaus:
„Der Mai, der Mai ist gekommen,
Die Bäume schlagen aus!”

1 stieben → aufwirbeln, davonfliegen
2 Waberlohe → in der Germanischen Mythologie ein nahezu undurchdringlicher, ringförmig geschlossener Feuerwall.
3 Nornen → in der nordischen Mythologie schicksalsbestimmende weibliche Wesen, von denen einige von Göttern, andere von Zwergen oder Elfen abstammen sollen
4 Runen → die alten Schriftzeichen der Germanen. Der Sammelbegriff umfasst Zeichen unterschiedlicher Alphabete in zeitlich und regional abweichender Verwendung.


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