Jahreszeitengedichte

Sammlung schöner Gedichte bekannter und weniger bekannter Autoren über die Jahreszeiten Frühling, Sommer, Herbst und Winter und über einzelne Kalendermonate

Vier Jahreszeiten
Vier Jahreszeiten
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Über das Jahr
Gedichte, die das Jahr bescheiben, z. B. alle vier Jahreszeiten oder mehrere der 12 Kalendermonate.
Frühling
Freuen Sie sich auf den Frühling – bekannte und weniger bekannte Frühlingsgedichte
Sommer
bekannte und weniger bekannte Sommergedichte, Sammlung schöner Gedichte über den Sommer
Herbst
Moderne und klassische Herbstgedichte, Sprüche und Zitate, für Kinder und Erwachsene. Kurze und lange Herbstgedichte
Winter
Wintergedichte - lassen Sie sich verzaubern von winterlicher Poesie. Es erwartet Sie eine große Auswahl an klassischen und modernen Wintergedichten.
Februar
Sobald der frostige Griff des Winters nachlässt, beginnt der Vorfrühling. Der Frühling zuckt zwar ab und an, kommt aber noch nicht richtig aus dem Bett. Das heißt jedoch nicht, dass in Februar-Gedichten Trübsal geblasen werden muss. Es gibt ja noch den Karneval.
April
Im April kommt der Frühling so richtig in Gang: Obstbäume blühen, Rotkehlchen singen und die Schwalben kehren zurück. Auch die ersten Schmetterlinge sind im Garten zu entdecken.
Mai
Gedichte und Lieder, die vom Wonnemonat Mai erzählen, Poesie rund um den Mai, Sammlung schöner Gedichte über den Mai
Juni
Kurze Nächte und lange Tage: Im Juni beginnt endlich der Sommer! Erleben Sie die poetische Vielfalt der Gedichte mit sommerlich geprägter Stimmung.
Juli
Hitze und viele Sonnenstunden prägen den Juli. Auf den Feldern blühen Klatschmohn und Kornblumen. Es ist die Zeit der reifen Früchte und Beeren, der Grillabende und lauen Sommernächte mit Glühwürmchen. Eine Stimmung, die sich auch in den Gedichten ausdrückt.
August
Der August ist der letzte Sommermonat und wird auch als Erntemonat bezeichnet. Laue Sommernächte sind erfüllt vom Summen der Mücken, das Heidekraut blüht und Greifvögel ziehen umher auf der Suche nach Nahrung. Die Gedichte fangen die Schönheit und den Zauber dieses besonderen Monats ein.
September
Die Gedichte sind geprägt vom Übergang des Sommers zum Herbst. Der September zeigt zwar noch ein freundliches Gesicht. Aber unvermeidlich ist dss Absterben der Pflanzenwelt.
Oktober
Der Oktober hat zwei Gesichter: Den goldenen Herbst mit Ernte und flammendem Laub gefolgt vom grauen Oktober mit Laubfall, Nebel und Kälte. Er steht für goldgelbe Wälder, sonnig-warme Tage, Kastanien, Wein und Kürbisse, aber auch für wenig Sonnenlicht und naßkaltes, trübes Wetter.
November
Der November steht für den Übergang zum Winter. Er gilt als dunkler Monat und als Monat des stillen Gedenkens. Katholiken feiern Allerheiligen und Allerseelen, während Protestanten den Totensonntag begehen. Doch mit dem Martinstag kommt auch das Leuchten zurück. Lassen Sie sich von den Gedichten bezaubern.

Über das Jahr

Gedichte, die das Jahr bescheiben, z. B. alle vier Jahreszeiten oder mehrere der 12 Kalendermonate.

Inhaltsverzeichnis

Das Jahr

Autor: Friedrich Rückert

In einem Lande möcht’ ich wohnen,
Wo der Natur gesetzter Zwang
Hinwandeln läßt durch glüh’nde Zonen
Des Jahres unverrückten Gang;
Wo nach des Winters Regengüssen
Ein langer fester Sommer kommt,
Und auch die Menschen fühlen müssen,
Dass nicht ein wirrer Wechsel frommt.

Und wäre das mir nicht beschieden,
So möcht’ ich wohnen an dem Pol,
Wo eines tiefen Winters Frieden
Ich mir ließ’ auch gefallen wohl;
Da muß des Menschen Geist versenken
Sich können in des Daseins Schacht
Und still sich nach den Sternen lenken
In ewig heller Winternacht.

Unselig ist der Mitte Schwanken,
Dem hier wir unterworfen sind,
Wo Stunden wechseln wie Gedanken,
Und die Gedanken wie der Wind:
Wo keine ruhige Entfaltung
Erlaubt des Jahrlaufs wilde Hast,
Und in verworrner Welthaushaltung
Mensch und Natur hat nirgends Rast.


Der Säntis

Autorin: Annette von Droste-Hülshoff

Frühling

Die Rebe blüht, ihr linder Hauch
Durchzieht das tauige Revier,
Und nah und ferne wiegt die Luft
Vielfarb’ger Blumen bunte Zier.

Wie’s um mich gaukelt, wie es summt
Von Vogel, Bien’ und Schmetterling,
Wie seine seidnen Wimpel regt
Der Zweig, so jüngst voll Reifen hing.

Noch sucht man gern den Sonnenschein
Und nimmt die trocknen Plätzchen ein;
Denn nachts schleicht an die Grenze doch
Der landesflücht’ge Winter noch.

O du mein ernst gewalt’ger Greis,
Mein Säntis mit der Locke weiß!
In Felsenblöcke eingemauert,
Von Schneegestöber überschauert,
In Eisespanzer eingeschnürt:
Hu, wie dich schaudert, wie dich friert!

Sommer

Du gute Linde, schüttle dich!
Ein wenig Luft, ein schwacher West!
Wo nicht, dann schließe dein Gezweig
So recht, daß Blatt an Blatt sich preßt.

Kein Vogel zirpt, es bellt kein Hund;
Allein die bunte Fliegenbrut
Summt auf und nieder übern Rain
Und läßt sich rösten in der Glut.

Sogar der Bäume dunkles Laub
Erscheint verdickt und atmet Staub.
Ich liege hier wie ausgedorrt
Und scheuche kaum die Mücken fort.

O Säntis, Säntis! läg’ ich doch
Dort - grad’ an deinem Felsenjoch,
Wo sich die kalten, weißen Decken
So frisch und saftig drüben strecken,
Viel tausend blanker Tropfen Spiel:
Glücksel’ger Säntis, dir ist kühl!

Herbst

Wenn ich an einem schönen Tag
Der Mittagsstunde habe acht,
Und lehne unter meinem Baum
So mitten in der Trauben Pracht:

Wenn die Zeitlose übers Tal
Den amethystnen Teppich webt,
Auf dem der letzte Schmetterling
So schillernd wie der frühste bebt:

Dann denk’ ich wenig drüber nach,
Wie’s nun verkümmert Tag für Tag,
Und kann mit halbverschloßnem Blick
Vom Lenze träumen und von Glück.

Du mit dem frischgefallnen Schnee,
Du tust mir in den Augen weh!
Willst uns den Winter schon bereiten:
Von Schlucht zu Schlucht sieht man ihn gleiten,
Und bald, bald wälzt er sich herab
Von dir, o Säntis! ödes Grab!

Winter

Aus Schneegestäub’ und Nebelqualm
Bricht endlich doch ein klarer Tag;
Da fliegen alle Fenster auf,
Ein jeder späht, was er vermag.

Ob jene Blöcke Häuser sind?
Ein Weiher jener ebne Raum?
Fürwahr, in dieser Uniform
Den Glockenturm erkennt man kaum;

Und alles Leben liegt zerdrückt,
Wie unterm Leichentuch erstickt.
Doch schau! an Horizontes Rand
Begegnet mir lebend’ges Land.

Du starrer Wächter, lass ihn los
Den Föhn aus deiner Kerker Schoß!
Wo schwärzlich jene Riffe spalten,
Da muß er Quarantäne halten,
Der Fremdling aus der Lombardei:
O Säntis, gib den Tauwind frei!

Säntis – Berg in der Ostschweiz
Säntis – Berg in der Ostschweiz
Bild von GernotBra auf Pixabay
Sein Gipfel ermöglicht einen Blick gen sechs
Länder: Schweiz, Deutschland, Österreich,
Liechtenstein, Italien und Frankreich.

Jahraus, jahrein

Autor: Johann Wolfgang von Goethe

Ohne Schlittschuh und Schellengeläut’
Ist der Januar ein böses Heut’.

Ohne Fastnachtstanz und Mummenspiel
Ist am Februar auch nicht viel.

Willst du den März nicht ganz verlieren,
So laß nicht in April dich führen.

Den ersten April mußt überstehn,
Dann kann dir manches Guts geschehn.

Und weiterhin im Mai, wenn’s glückt,
Hat dich wieder ein Mädchen berückt.

Und das beschäftigt dich so sehr,
Zählst Tage, Wochen und Monde nicht mehr.

Frühlingsliebe
Frühlingsliebe
Bild von Jill Wellington auf Pixabay

Jahreszeiten

Autor: Heinrich Seidel

Grüner Frühling kehret wieder,
bringt uns Blüten ohne Zahl,
Und sein fröhliches Gefieder
jauchzt in Wald und Wiesental,
Jubelt ob dem Saatenfeld:
O, wie herrlich ist die Welt!

Goldner Sommer, da in Bogen
hoch die Sonne glänzend geht,
Und mit windbewegten Wogen
sanftes Flüstern heimlich weht,
Durch das reiche Ährenfeld:
O, wie herrlich ist die Welt!

Brauner Herbst, wo Früchte drängen
sich im Garten und im Wald,
Wo von sanften Rebenhängen
froh das Lied der Winzer schallt
Über das geleerte Feld:
O, wie herrlich ist die Welt!

Weißer Winter – schneeverhangen
liegt die Welt in stillem Traum;
In demantnem Glanze prangen
Wald und und Wiese, Busch und Baum,
Und im Silbersachein das Feld:
O, wie herrlich ist die Welt!

Ob der Frühling grünt und blühet,
Sommer steht in goldnem Kleid,
Ob der Herbst in Farben glühet,
ob’s im Winter friert und schneit –
Glücklich, wem es stets gefällt:
O, wie herrlich ist die Welt!

Baum in den vier Jahreszeiten
Baum in den vier Jahreszeiten
Bild von Rosy / Bad Homburg auf Pixabay

Mein Jahr

Autor: Conrad Ferdinand Meyer

Nicht vom letzten Schlittengleise
Bis zum neuen Flockentraum
Zähl’ ich auf der Lebensreise
Den erfüllten Jahresraum.

Nicht vom ersten frischen Singen,
Das im Wald geboren ist,
Bis die Zweige wieder klingen,
Dauert mir die Jahresfrist.

Von der Kelter nicht zur Kelter
Dreht sich mir des Jahres Schwung,
Nein, in Flammen werd’ ich älter
Und in Flammen wieder jung.

Von dem ersten Blitze heuer,
Der aus dunkler Wolke sprang,
Bis zu neuem Himmelsfeuer
Rechn’ ich meinen Jahresgang.


Möge das Jahr …

Altirischer Segenswunsch

Möge das Jahr dich mit seinen Geschenken beglücken:
mit den Veilchen des Frühlings,
mit dem Bienesummen das Sommers,
und den rotwangigen Äpfeln des Herbstes.
Der Winter schenke dir die Früchte der Stille für die Seele.
Möge der Mond dir durch sein Licht bekunden,
dass nach mageren wieder volle Tage kommen.


Tanka über das ganze Jahr

Autorin: Heidi Hollmann

Januar

Grimmer kalter Herr.
Schickst uns die weißen Flocken.
Die Kinder erfreun.
Sie ziehen ihre Schlitten.
Sind voll der Seligkeiten.

Februar

Du treibst es sehr bunt.
Karneval steht vor der Tür.
Mit Helau-Alaaf.
Sie schlagen über Stränge.
Ist nicht immer das Wahre.

März

Frühlingsmonat März
Du lässt hoffen und ahnen.
Machst die Seelen weit.
Buntes steigt aus der Erde.
Erfreut so manches Gemüt.

April

Du lässt es nicht sein.
Der April macht, was er will.
So heißt es bei uns.
Schickst uns laufend den Regen.
Übernimm Dich bitte nicht.

Mai

Du Wonnemonat
Lässt es blühen und gedei’n.
So lieben wir Dich.
Schenk uns aus Deiner Fülle.
Ach, du machst uns häufig froh.

Juni

Blaue Wolken ziehn.
Die Luft ist voller Düfte.
Tun dem Herzen wohl.
So könnt es ewig bleiben.
Bis der Juli sehr bald folgt

Juli

Du bringst uns Milde.
Du schickst uns sanften Regen.
Die Erde wird nass.
Die Frische ist ein Genuss.
Ohne Regen kein Blühen

August

Praller Sonnenschein
Das Leben voller Wonne
Bringt uns viel Genuss.
Könnte ewig so bleiben.
Abwechslung ist angesagt

September

Stürme hier und da.
Das Jahr ist fortgeschritten.
Wir nehmen es hin.
Bald kommen Erntezeiten
Wir legen Vorräte an.

Oktober

Du guter Freund Du.
Lass die Sonne mild scheinen.
Sie bringt uns Segen.
Bunte Blätter erfreun uns.
Kastanien als Kleinod.

November

Du bis ziemlich trist.
Mit Deinen Tauertagen.
Machst melancholisch.
Im Anblick der Endlichkeit.
Gedenken wir des Todes.

Dezember

Freude überall.
Advent, der uns Hoffnung bringt.
Alles wird geschmückt.
Bald kommt der Tag der Tage.
Die Geburt Christi ist nah!

© Heidi Hollmann

Tanka heißt „Kurzes Gedicht“. Er ist ein um zwei Zeilen verlängerter Haiku und stammt ebenfalls aus dem Japanischen.

Ein Haiku besteht aus drei reimlosen Versen, von denen der erste fünf, der zweite sieben und der dritte wieder fünf Silben umfassen muss. Ein Wort des Gedichts muss eine Jahreszeit benennen oder deutlich auf sie anspielen. Schließlich muss sich an einem der Zeilenenden eine Sprechpause (Zäsur) befinden. Man kann durch diese vorgegebene Art der Formulierung eine ganze Geschichte „erzählen“. Es gibt sogar komplette Bücher mit Haikus, die aussagekräftig sind.

Wenn man besonders schreibfreudig ist, kann man einen Haiku um zwei weitere Zeilen (mit jeweils sieben Silben) zum Tanka erweitern und vollenden. Ein Tanka besteht also aus fünf Zeilen (5-7-5-7-7 Silben).

Ein Tanka gliedert sich in Oberstollen (Zeile 1-3) und Anschlussstollen (Zeile 4+5). So kann der erste Teil, der Oberstollen, wie bei einem Haiku, ein Bild oder eine Idee zeichnen. Dieses Bild wird im zweiten Teil, dem Anschlussstollen, vollendet und eröffnet dem Leser neue Gedankenrichtungen. Durch Weglassen des zweiten Teils des Tanka, des Anschlussstollens, entstand später eine Form, die sich zum Haiku entwickelte.


Vier Jahreszeiten

Autor: Johann Wolfgang von Goethe

Frühling

Auf, ihr Distichen, frisch. Ihr muntern lebendigen Knaben!
Reich ist Garten und Feld! Blumen zum Kranze herbei!
Reich ist an Blumen die Flur; doch einige sind nur dem Auge,
Andre dem Herzen nur schön; wähle dir, Leser, nun selbst!

Rosenknospe, du bist dem blühenden Mädchen gewidmet,
Die als die Herrlichste sich, als die Bescheidenste zeigt.

Viele der Veilchen zusammengeknüpft, das Sträußchen erscheinet
Erst als Blume; du bist, häusliches Mädchen, gemeint.

Eine kannt ich, sie war wie die Lilie schlank und ihr Stolz war
Unschuld; herrlicher hat Salomo keine gesehn.

Schön erhebt sich Aglei und senkt das Köpfchen herunter.
Ist es Gefühl? oder ist's Mutwill? Ihr ratet es nicht.

Viele duftende Glocken, o Hyazinthe, bewegst du;
Aber die Glocken ziehn, wie die Gerüche, nicht an.

Nachtviole, dich geht man am blendenden Tage vorüber;
Doch bei der Nachtigall Schlag hauchest du köstlichen Geist.

Tuberose, du ragest hervor und ergetzest im Freien;
Aber bleibe vom Haupt, bleibe vom Herzen mir fern!

Fern erblick ich den Mohn; er glüht. Doch komm ich dir näher,
Ach, so seh ich zu bald, daß du die Rose nur lügst.

Tulpen, ihr werdet gescholten von sentimentalischen Kennern;
Aber ein lustiger Sinn wünscht auch ein lustiges Blatt.

Nelken, wie find ich euch schön! Doch alle gleicht ihr einander,
Unterscheidet euch kaum, und ich entscheide mich nicht.

Prangt mit den Farben Aurorens, Ranunkeln, Tulpen und Astern!
Hier ist ein dunkles Blatt, das euch an Dufte beschämt.

Keine lockt mich, Ranunkeln, von euch, und keine begehr ich;
Aber im Beete vermischt, sieht euch das Auge mit Lust.

Sagt! was füllet das Zimmer mit Wohlgerüchen? Reseda,
Farblos, ohne Gestalt, stilles, bescheidenes Kraut.

Zierde wärst du der Gärten; doch wo du erscheinest, da sagst du:
Ceres streute mich selbst aus mit der goldenen Saat.

Deine liebliche Kleinheit, dein holdes Auge, sie sagen
Immer: vergiß mein nicht! immer: Vergiß nur nicht mein!

Schwänden dem inneren Auge die Bilder sämtlicher Blumen,
Eleonore, dein Bild brächte das Herz sich hervor.

Sommer

Grausam erweist sich Amor an mir! O spielet, ihr Musen,
Mit den Schmerzen, die er, spielend, im Busen erregt!
Manuskripte besitz ich, wie kein Gelehrter noch König;
Denn mein Liebchen, sie schreibt, was ich ihr dichtete, mir.

Wie im Winter die Saat nur langsam keimet, im Sommer
Lebhaft treibet und reift, so war die Neigung zu dir.

Immer war mir das Feld und der Wald, und der Fels und die Gärten
Nur ein Raum, und du machst sie, Geliebte, zum Ort.

Raum und Zeit, ich empfind es, sind bloße Formen des Anschauns,
Da das Eckchen mit dir, Liebchen, unendlich mir scheint.

Sorge! sie steiget mit dir zu Roß, sie steiget zu Schiffe;
Viel zudringlicher noch packet sie Amor uns auf.

Neigung besiegen ist schwer; gesellet sich aber Gewohnheit,
Wurzelnd, allmählich zu ihr, unüberwindlich ist sie.

Welche Schrift ich zwei-, ja dreimal hintereinander
Lese? Das herzliche Blatt, das die Geliebte mir schreibt.

Sie entzückt mich, und täuschet vielleicht. O Dichter und Sänger,
Mimen! lerntet ihr doch meiner Geliebten was ab!

Alle Freude des Dichters, ein gutes Gedicht zu erschaffen,
Fühle das liebliche Kind, das ihn begeisterte, mit.

Ein Epigramm sei zu kurz, mir etwas Herzlichs zu sagen?
Wie, mein Geliebter, ist nicht kürzer der herzliche Kuß?

Kennst du die herrliche Wirkung der endlich befriedigten Liebe?
Körper verbindet sie schön, wenn sie die Geister befreit.

Das ist die wahre Liebe, die immer und immer sich gleichbleibt,
Wenn man ihr alles gewährt, wenn man ihr alles versagt.

Alles wünscht ich zu haben, um mit ihr alles zu teilen;
Alles gäb ich dahin, wär sie, die Einzige, mein.

Kränken ein liebendes Herz und schweigen müssen: geschärfter
Können die Qualen nicht sein, die Rhadamanth sich ersinnt.

Warum bin ich vergänglich, o Zeus? so fragte die Schönheit.
Macht ich doch, sagte der Gott, nur das Vergängliche schön.

Und die Liebe, die Blumen, der Tau und die Jugend vernahmens;
Alle gingen sie weg, weinend, von Jupiters Thron.

Leben muß man und lieben; es endet Leben und Liebe.
Schnittest du, Parze, doch nur beiden die Fäden zugleich!

Herbst

Früchte bringt das Leben dem Mann; doch hangen sie selten
Rot und lustig am Zweig, wie uns ein Apfel begrüßt.
Richtet den herrschenden Stab auf Leben und Handeln, und lasset
Amorn, dem lieblichen Gott, doch mit der Muse das Spiel!

Lehret! Es ziemet euch wohl, auch wir verehren die Sitte;
Aber die Muse läßt nicht sich gebieten von euch.

Nimm dem Prometheus die Fackel, beleb, o Muse, die Menschen!
Nimm sie dem Amor, und rasch quäl und beglücke, wie er!

Alle Schöpfung ist Werk der Natur. Von Jupiters Throne
Zuckt der allmächtige Strahl, nährt und erschüttert die Welt.

Freunde, treibet nur alles mit Ernst und Liebe; die beiden
Stehen, dem Deutschen so schön, den ach! so vieles entstellt.

Kinder werfen den Ball an die Wand und fangen ihn wieder;
Aber ich lobe das Spiel, wirft mir der Freund ihn zurück.

Immer strebe zum Ganzen, und kannst du selber kein Ganzes
Werden, als dienendes Glied schließ an ein Ganzes dich an.

Wärt ihr, Schwärmer, imstande, die Ideale zu fassen,
O! so verehrtet ihr auch, wie sichs gebührt, die Natur.

Wem zu glauben ist, redlicher Freund, das kann ich dir sagen:
Glaube dem Leben; es lehrt besser als Redner und Buch.

Schädliche Wahrheit, ich ziehe sie vor dem nützlichen Irrtum.
Wahrheit heilet den Schmerz, den sie vielleicht uns erregt.

Schadet ein Irrtum wohl? Nicht immer! aber das Irren,
Immer schadets. Wie sehr, sieht man am Ende des Wegs.

Fremde Kinder, wir lieben sie nie so sehr als die eignen;
Irrtum, das eigene Kind, ist uns dem Herzen so nah.

Irrtum verläßt uns nie, doch ziehet ein höher Bedürfnis
Immer den strebenden Geist leise zur Wahrheit hinan.

Gleich sei keiner dem andern; doch gleich sei jeder dem Höchsten.
Wie das zu machen? Es sei jeder vollendet in sich.

Warum will sich Geschmack und Genie so selten vereinen?
Jener fürchtet die Kraft, dieses verachtet den Zaum.

Fortzupflanzen die Welt, sind alle vernünftgen Diskurse
Unvermögend; durch sie kommt auch kein Kunstwerk hervor.

Welchen Leser ich wünsche? Den unbefangensten, der mich,
Sich und die Welt vergißt, und in dem Buche nur lebt.

Dieser ist mir der Freund, der mit mir Strebendem wandelt:
Lädt er zum Sitzen mich ein, stehl ich für heute mich weg.

Wie beklag ich es tief, daß diese herrliche Seele,
Wert, mit dem Zwecke zu gehn, mich nur als Mittel begreift!

Preise dem Kinde die Puppen, wofür es begierig die Groschen
Hinwirft; wahrlich du wirst Krämern und Kindern ein Gott.

Wie verfährt die Natur, um Hohes und Niedres im Menschen
Zu verbinden? Sie stellt Eitelkeit zwischen hinein.

Auf das empfindsam Volk hab ich nie was gehalten; es werden,
Kommt die Gelegenheit, nur schlechte Gesellen daraus.

Franztum drängt in diesen verworrenen Tagen, wie ehmals
Luthertum es getan, ruhige Bildung zurück.

Wo Parteien entstehn, hält jeder sich hüben und drüben;
Viele Jahre vergehn, eh sie die Mitte vereint.

»Jene machen Partei; welch unerlaubtes Beginnen!
Aber unsre Partei, freilich, versteht sich von selbst.«

Willst du, mein Sohn, frei bleiben, so lerne was Rechtes, und halte
Dich genügsam, und nie blicke nach oben hinauf!

Wer ist der edlere Mann in jedem Stande? Der stets sich
Neiget zum Gleichgewicht, was er auch habe voraus.

Wißt ihr, wie auch der Kleine was ist? Er mache das Kleine
Recht; der Große begehrt just so das Große zu tun.

Was ist heilig? Das ists, was viele Seelen zusammen
Bindet; bänd es auch nur leicht, wie die Binse den Kranz.

Was ist das Heiligste? Das, was heut und ewig die Geister,
Tiefer und tiefer gefühlt, immer nur einiger macht.

Wer ist das würdigste Glied des Staats? Ein wackerer Bürger;
Unter jeglicher Form bleibt er der edelste Stoff.

Wer ist denn wirklich ein Fürst? Ich hab es immer gesehen:
Der nur ist wirklich ein Fürst, der es vermochte zu sein.

Fehlet die Einsicht oben, der gute Wille von unten,
Führt sogleich die Gewalt, oder sie endet den Streit.

Republiken hab ich gesehn, und das ist die beste,
Die dem regierenden Teil Lasten, nicht Vorteil gewährt.

Bald, es kenne nur jeder den eigenen, gönne dem andern
Seinen Vorteil, so ist ewiger Friede gemacht.

Keiner bescheidet sich gern mit dem Teile, der ihm gebühret,
Und so habt ihr den Stoff immer und ewig zum Krieg.

Zweierlei Arten gibt es, die treffende Wahrheit zu sagen:
Öffentlich immer dem Volk, immer dem Fürsten geheim.

Wenn du laut den einzelnen schiltst, er wird sich verstocken,
Wie sich die Menge verstockt, wenn du im Ganzen sie lobst.

Du bist König und Ritter und kannst befehlen und streiten;
Aber zu jedem Vertrag rufe den Kanzler herbei.

Klug und tätig und fest, bekannt mit allem, nach oben
Und nach unten gewandt, sei er Minister und bleibs.

Welchen Hofmann ich ehre? Den klärsten und feinsten! Das andre,
Was er noch sonst besitzt, kommt ihm als Menschen zugut.

Ob du der Klügste seist, daran ist wenig gelegen;
Aber der Biederste sei, so wie bei Rate, zu Haus.

Ob du wachst, das kümmert uns nicht, wofern du nur singest.
Singe, Wächter, dein Lied schlafend, wie mehrere tun.

Diesmal streust du, o Herbst, nur leichte welkende Blätter.
Gib mir ein andermal schwellende Früchte dafür.

Winter

Wasser ist Körper, und Boden der Fluß. Das neuste Theater
Tut in der Sonne Glanz zwischen den Ufern sich auf.
Wahrlich, es scheint nur ein Traum! Bedeutende Bilder des Lebens
Schweben, lieblich und ernst, über die Fläche dahin.

Eingefroren sahen wir so Jahrhunderte starren,
Menschengefühl und Vernunft schlich nur verborgen am Grund.

Nur die Fläche bestimmt die kreisenden Bahnen des Lebens;
Ist sie glatt, so vergißt jeder die nahe Gefahr.

Alle streben und eilen und suchen und fliehen einander;
Aber alle beherrscht freundlich die glättere Bahn.

Durch einander gleiten sie her, die Schüler und Meister,
Und das gewöhnliche Volk, das in der Mitte sich hält.

Jeder zeig hier, was er vermag; nicht Lob und nicht Tadel
Hielte diesen zurück, förderte jenen zum Ziel.

Euch, Präkonen des Pfuschers, des Meisters Verkleinerer, wünscht ich
Mit ohnmächtiger Wut stumm hier am Ufer zu sehn.

Lehrling, du schwankest und zauderst und scheuest die glättere Fläche.
Nur gelassen! du wirst einst noch die Freude der Bahn.

Willst du schon zierlich erscheinen, und bist nicht sicher? Vergebens!
Nur aus vollendeter Kraft blicket die Anmut hervor.

Fallen ist der Sterblichen Los. So fällt hier der Schüler,
Wie der Meister; doch stürzt dieser gefährlicher hin.

Stürzt der rüstigste Läufer der Bahn, so lacht man am Ufer,
Wie man bei Bier und Tabak über Besiegte sich hebt.

Gleite fröhlich dahin, gib Rat dem werdenden Schüler,
Freue des Meisters dich, und so genieße des Tags.

Siehe, schon nahet der Frühling; das strömende Wasser verzehret
Unten, der sanftere Blick oben der Sonne das Eis.

Dieses Geschlecht ist hinweg, zerstreut die bunte Gesellschaft;
Schiffern und Fischern gehört wieder die wallende Flut.

Schwimme, du mächtige Scholle, nur hin! und kommst du als Scholle
Nicht hinunter, du kommst doch wohl als Tropfen ins Meer.