Wintergedichte – Christian Morgenstern

Wintergedichte, Winterlyrik, Winterpoesie – Christian Morgenstern

Inhaltsverzeichnis

Wintergedichte

Der Seufzer

Autor: Christian Morgenstern

Ein Seufzer lief Schlittschuh auf nächtlichem Eis
und träumte von Liebe und Freude.
Es war an dem Stadtwall und schneeweiß
glänzten die Stadtwallgebäude.

Der Seufzer dacht’ an ein Maidelein
und blieb erglühend stehen.
Da schmolz die Eisbahn unter ihm ein –
und er sank – und ward nimmer gesehen!

Loch in der gefrorenen Eisbahn
Loch in der gefrorenen Eisbahn
Bild von PublicDomainPictures auf Pixabay

Die drei Spatzen

Autor: Christian Morgenstern

In einem leeren Haselstrauch,
da sitzen drei Spatzen, Bauch an Bauch.

Der Erich rechts und links der Franz
und mittendrin der freche Hans.

Sie haben die Augen zu, ganz zu,
und obendrüber, da schneit es, hu!

Sie rücken zusammen dicht an dicht,
so warm wie Hans hat’s niemand nicht.

Sie hör’n alle drei ihrer Herzlein Gepoch.
Und wenn sie nicht weg sind, so sitzen sie noch.

Ein Spatz ist niemals alleine
Ein Spatz ist niemals alleine
Bild von Artur Pawlak auf Pixabay

Die Enten laufen Schlittschuh

Autor: Christian Morgenstern

Die Enten laufen Schlittschuh
auf ihrem kleinen Teich.
Wo haben sie denn die Schlittschuh her -
sie sind doch gar nicht reich?

Wo haben sie denn die Schlittschuh her?
Woher? Vom Schlittschuhschmied!
Der hat sie ihnen geschenkt, weißt du,
für ein Entenschnatterlied.

Enten laufen auf gefrorenem Eis
Enten laufen auf gefrorenem Eis
Bild von Hans Linde auf Pixabay

Erster Schnee

Autor: Christian Morgenstern

Aus silbergrauen Gründen tritt
ein schlankes Reh
im winterlichen Wald
und prüft vorsichtig Schritt für Schritt,
den reinen, kühlen, frischgefallenen Schnee.

Und deiner denk ich, zierlichste Gestalt.

Reh in einer Winterlandschaft
Reh in einer Winterlandschaft
Bild von Hans Benn auf Pixabay

Morgensonne im Winter

Autor: Christian Morgenstern

Auf den eisbedeckten Scheiben
fängt im Morgensonnenlichte
Blum und Scholle an zu treiben …

Löst in diamantnen Tränen
ihren Frost und ihre Dichte,
rinnt herab in Perlensträhnen …

Herz, o Herz, nach langem Wähnen
lass auch deines Glücks Geschichte
diamantne Tränen schreiben!

Frost am Fenster
Frost am Fenster
Bild von Jill Wellington auf Pixabay

Neuschnee

Autor: Christian Morgenstern

Flockenflaum zum ersten Mal zu prägen
mit des Schuhs geheimnisvoller Spur,
einen ersten schmalen Pfad zu schrägen
durch des Schneefelds jungfräuliche Flur -

kindisch ist und köstlich solch Beginnen,
wenn der Wald dir um die Stirne rauscht
oder mit bestrahlten Gletscherzinnen
deine Seele leuchtende Grüße tauscht.

Verschneite Winterlandschaft
Verschneite Winterlandschaft
Bild von Alfons Landsmann auf Pixabay

Wenn es Winter wird

Autor: Christian Morgenstern

Der See hat eine Haut bekommen,
so dass man fast drauf gehen kann,
und kommt ein großer Fisch geschwommen,
so stößt er mit der Nase an.

<ü>Und nimmst du einen Kieselstein
und wirfst ihn drauf, so macht es klirr
und titscher – titscher – titscher – dirrrrr …
Heißa, du lustiger Kieselstein!

Er zwitschert wie ein Vögelein
und tut als wie ein Schwälblein fliegen –
doch endlich bleibt mein Kieselstein
ganz weit, ganz weit auf dem See draußen liegen.

Da kommen die Fische haufenweis
und schaun durch das klare Fenster von Eis
und denken, der Stein wär etwas zum Essen;
doch so sehr sie die Nase ans Eis auch pressen,
das Eis ist zu dick, das Eis ist zu alt,
sie machen sich nur die Nasen kalt.

Aber bald, aber bald
werden wir selbst auf eignen Sohlen
hinausgehn können und den Stein wieder holen.

Zugefrorener See
Zugefrorener See
Bild von Sergio Cerrato - Italia auf Pixabay